
Fotogeschichtliche Kontrapunktserie Nr. 2
​
Das Blutgold von El Lago
Erzählrunde 1
Geschichtsbücher berichten uns folgende Ereignisse: Als am 13. August 1521 das einst präch-tige Tenochtitlán, Hauptstadt des Aztekenreiches, nach schweren Kämpfen fiel, geriet dessen letzter König Cuauhtémoc auf der Flucht in spanische Gefangenschaft. Anfänglich von Hernan Cortés ehrenvoll behandelt sowie auch weiterhin aztekischer Herrscher genannt, revidierte dieser allerdings bald seine Meinung. Er ließ ihn foltern, um auf diese Weise an Informationen über den Verbleib jener Reichtümer zu gelangen, welche in der Noche Triste, als die Spanier nur knapp entkamen und dabei viele Männer verloren, abhanden gekommen waren.
Soweit das Offizielle. Was die Annalen jedoch nicht erzählen sind diverse mündliche Informa-tionen, welche sich seit Cuauhtémocs gewaltsamen Tod 1524 im heutigen Honduras rasch un-ter den Azteken verbreiteten. Demanch bekam des Regenten treuer Diener von diesem 1521 nach überstandener Tortur ein winziges Stückchen Gold, benetzt mit einem von seinen großen Martern herrührenden Blutstropfen zum Geschenk sowie ewigen Andenken - aber gleichzeitig auch als Fluch für alljene, welche es zu Gesicht bekommen, bevor Cortés' Eroberungen ge-rächt, die Eindringlinge vertrieben sind, und das Aztekenvolk wieder zum rechtmäßigen Besit-zer des Reiches erhoben wird.
Besagtes Vermächtnis sei vom Getreuen zunächst sicherheitshalber in einem tiefen Kellerge-wölbe vergraben worden, einen baldigen Sieg gegen Spaniens Konquistadoren erhoffend. Die Illusion verflog, weshalb er den Reliquiengegenstand am ausgewählten Ort beließ. Infolge der Neuerrichtung Tenochtitláns unter anderem Namen geriet dessen Lage aber alsbald schon in Vergessenheit, nicht jedoch die mit dem Blutgold verbundenen Botschaften.
Erst 1944 gelang Archäologen bei Routinegrabungen rein zufällig die spektakuläre Wiederent-deckung des alten Verstecks. Nach langen Überlegungen kam Méxicos Regierung schließlich überein, diesen Sensationsfund von wahrhaft nationaler Bedeutung in Münzform umzugießen. Und so ließ man im darauffolgenden Jahr daraus eine kleine Goldmünze, Nennwert 2 Pesos, prägen, wobei Cuauhtémocs wundersam erhaltener Blutstropfen ins flüssige Edelmetall ver-mengt wurde.
Umso mehr erschraken daher sämtliche Qualitätsprüfer während ihrer Begutachtungen des Resultates darüber, dass sich das Blut, über dessen unglaublich guten Erhaltungszustand (als ob es gerade eben erst vergossen wurde) Mediziner ohnehin nur ungläubig staunten, aus un-erklärlichem Grund partout nicht mit dem Gold hatte mischen wollen. War doch auf der Vor-derseite auch noch im strahlendsten Sonnenlicht links neben dem M unterhalb des Lorbeer-zweiges exakt dieselbe Form jenes Tropfens, nur jetzt in veränderter Farbgebung, gleichsam einer leicht oxidierten Oberflächenstelle eindeutig erkennbar.

Sogar die fortschrittsgläubigsten, Wunderzeichen grundsätzlich negierenden Wissenschafts-rationalisten im Raum erkärten verlegen, irgendetwas, irgendein wahrer Kern müsse schein-bar dran sein am Mythos. Doch damit nicht genug. Als sie staunend mit dem Begutachten des Goldpesos fortfuhren, stellte plötzlich ein nach dem anderen entsetzt aufschreiend fest: Egal ob er nun normalsichtig oder Brillenträger war, egal wie nah oder weit das Objekt gehalten wurde, es verschwamm derart unscharf, dass bei Sehtestergebnissen dieser Kategorie jeder Augenarzt, jeder Optiker wohl Grund genug hätte, um die betreffende Person besorgt zu sein.

Selbst Fräulein Martinez, unter ihnen das beste Sehvermögen überhaupt besitzend, gestand ratlos, trotz Einsatz des neu angeschafften Speziallupengerätes modernster Fabrikation kön-ne man die "5" rein theoretisch ebenso gut für eine schlecht geratene "3" halten.

Cuauhtémocs Blutfleck jedoch, die "Oxidation", blieb für unsere aus unerklärlichen Gründen an einer besonders schweren Form akut auftretende Kurzsichtigkeit leidenden Angestellten ein-prägsam sichtbar, mochte deren Dioptrienzahl auch in Richtung unendlich gehen. Mehr noch: Je höher sie anscheindend lag desto unübersehbarer zeichnete er sich dem Betreffenden ge-genüber ab.
Da im Zustand allgemeiner Verzweiflung eilig herbeigerufene Priester umliegender Pfarreien beim Blick auf das Goldstück nun aber genau demselben Phänomen unterlagen, munkelten abergläubische Mitarbeiter ängstlich, eben weil es sich bei der neuen Münze eigentlich um al-tes Blutgold handele, wäre sie 1521 von Tenochtitláns letztem Herrscher automatisch mitver-flucht worden. So dauerte es - wie bei aufkommendem Gerede meistens üblich - nicht lange, bis quer durch ganz México wirreste Gerüchte umgingen, der in jener Noche Triste größten-teils verloren gegangene Aztekenschatz sei durch göttlicher Fügung endlich aufgetaucht. Je-den Augenblick käme Cuauhtémoc zornig vom Himmel herab, versammele zwischen Ciudad Juarez und Mérida gewaltige Heerscharen, um mit einer Armada, gigantischer als 1588, zur Rächung kolonialen Unrechts nach Spanien zu segeln. Und Personen, welche die Dos Pesos in ihren Besitz bringen wollen, bei diesem Vorhaben allerdings scheitern, werde schwarzes Pech mit klebrigen Händen bis ans Lebensende verfolgen.
Geschichtskenner verwundert es daher kaum, dass México angesichts einschneidender Ge-schehnisse des Jahres 1945 derartige Spekulationen politisch wirklich alles andere als gele- gen kamen.
Damit nicht erneut ein Größenwahnsinniger auftreten, angestachelt durch gelungene Inbesitz-nahme königlich aztekischen Edelmetalls frenetisch jubelnde Massen begeistern, eventuell sogar einen Dritten Weltkrieg anzetteln konnte, beschloss das Regierungskabinett einstim-mig, die Dos Pesos, geschätzter Sammlerwert rund 1.000.000$, schnellstmöglich dezent au-ßer Landes an einen streng geheimen Ort zu bringen.
Um Spuren geschickt zu verwischen, legte man falsche Fährten aus. Demzufolge hatten vier Gangsterprofis die Cuauhtémoca im Auftrag mehrerer nach Südamerika entkommener Nazis bei hellichtem Tag aus der staatlichen Münzpräge gestohlen. Auf ihrem abenteuerlichen Weg von Ciudad de México nach Buenos Aires wurden sie in Nicaragua nahe Catarina verhaftet. Glücklicherweise hatte Boss Ramón das glühend heiß gewordene Beutestück wohlweislich bereits schon vormittags per rekordverdächtigem Weitwurf dem riesigen, sich um diese frü-hen Stunden gerne leicht dunstig zeigenden Kratersee Laguna de Apoyo anvertraut, weshalb das Quartett wegen Beweismangels binnen zehn Minuten wieder freikam. Und die unheimli-che Caldera gibt ihr Wissen akribischen Suchanstrengungen zum Trotz niemandem preis.

Parallel dazu kursierte folgender, etwas abweichender Bericht. Schenken wir Gerücht 2 Glau-ben, schafften es die Männer an Catarina vorbei bis zur Grenze nach Costa Rica. Dort von wei-tem mit einem aus Polizei und Militär bestehenden Begrüßungskomitee konfrontiert, riet Ra-món von jeglichen Einreiseversuchen ab. Stattdessen wendete er hurtig den Wagen, worauf sie zwecks rascher Diebesgutentsorgung zum nahen Lago de Nicaragua fuhren.
Hier teilt sich die Erzählung wiederum in zwei Variationen auf. Während Version 2.1 Gold su-chenden Glücksrittern glaubwürdig versichert, sie müssten die Cuauhtémoca tief im Ufersand des unendlich weiten Gestades suchen, behauptet Variante 2.2 felsenfest, deren Lage befinde sich knapp einen Meter unterhalb des seichten Bodens im Brandungsbereich. Irgendwo halt.

In jüngster Vergangenheit erhielt speziell Version 2 neuen Auftrieb. 1999 kamen erstmals Plä-ne ans Tageslicht, dass Nicaragua einen zweiten, El gran canal genannten Durchstich als Kon-kurrenz zum Panamakanal beabsichtigt. Zahllose Verschwörungstheoretiker mutmaßen seit-her, hinter Managuas Mammutprojekt stünden in Wahrheit Absichten, mit Hilfe chinesischer Investoren unter dem Tarnmantel offizieller Kanalbauarbeiten das inzwischen Blaue Mauriti- us der Numismatik genannte Objekt zu finden.
Entsprächen doch die favorisierten Fahrrinnen exakt DEN möglichen Fundortbereichen, wel-che Ramón 1991 gegenüber zwei australischen Abenteurern nur als vage Zonen beschreiben konnte, weil sich ihnen damals bereits beim Hinausschieben des am Strand entwendeten Ru-derbootes der dunstverhangene Ometepe als Orientierung spendende Landmarke verweiger-te. Unter herzzerreißenden Tränen, so der rüstige Senior, hätten sie Arm in Arm hilflos zuge-sehen, wie Cuauhtémocs Blutgold zu ihrer eigenen Sicherheit en alguna parte unwiderruflich im See versank.
Konservative Gegner dieser dritten Hypothese widersprechen hingegen vehement, argwöhnen darin eine raffinierte Finte eigensüchtiger Zunftgenossen. Schwarze Schafe wollten lediglich an den Stränden buddelnde aufrichtige Kollegen "fünf Minuten vor zwölf" in schaukelnden, hastig gezimmerten Nussschalen aufs offene Wasser locken. Ometepe hin oder her.

Wie dem auch sein mag, Tatsache ist jedenfalls, dass 1945 auf einer eigens dafür einberaum-ten Kabinettssonderssitzung leidenschaftlich, heftig und kontrovers debattiert wurde, wohin jene unheilvolle Goldprägung zur Erhaltung des gerade errungenen Welfriedens am besten verfrachtet werden könnte. Schließlich machten zwei Minister den Vorschlag, das loszuwer- dende Kulturgut nach Costa Rica zu bringen. Ein dort als Pfarrer tätiger Freund hätte sich te-lefonisch bereiterklärt, die gefährliche Cuauhtémoca in seiner Kirche für ewige Zeiten aufzu-bewahren.
Ihr Vorschlag fand begeisterte Zustimmung, so erleichert, so unendlich froh waren sie, das politische Problem nun endlich vom Tisch zu haben. Auf diese Weise gelangte die Cuauhtémo-ca ins mittelamarikanische Liberia, wo man im Fußboden des Kirchengebäudes von Ermita de la Agonía ein größeres Loch ausschachtete, mit Beton auskleidete, die Münze in einer ver-plompten Schatulle hineinlegte, es randvoll mit Zement füllte sowie anschließend den zuvor beiseitegeräumten Steinplattenbelag wieder ordnungsgemäß darüberlegte.
Als ausdrückliches Zeichen jedoch, dass México unbestrittener Souverän dieses Schatzes ist, erhielt seine Botschafter feierlichst der Kirchenschlüssel zum per bilateralem Abkommen als exterritioriales Staatsgebiet ausgehandelten Sakralbau überreicht. Ausschließlich er und sei-ne diplomatischen Nachfolger besitzen laut Vertrag für Ermita de la Agonía das Zutrittsrecht, weshalb die schwere massive Holztür aufgrund strikter Nichtwahrnehmung des Pivilegs über siebzig Jahre verschlossen blieb. Potentiellen, möglicherweise geschickt als harmlose, spa-nischunkundige Reisende getarnten Goldsuchern war somit kein einziger, kein noch so gerin-ger Schürfkratzer vergönnt.

Infolge diverser Indiskretionen, häufig Begleiterscheinungen diskret durchgeführter Aktionen, sickerten im Lauf der Zeit gewisse Details durch. Doch anders als bei den lancierten Gerüch-ten fand - Ironie der Geschichte - ausgerechnet die Wahrheit keinen Eingang ins Herz des in-ternationalen Glückrittertums. Zu abwegig, zu unglaubwürdig, zu albern, zu unseriös, zu lä-cherlich, zu konstruiert, zu sehr an den Haaren herbeigezogen, eben einen Tick zu verschwö-rungstheoreretisch abstrus erschien es, Schätze solcher Größenordnungen könnten ernsthaft in Costa Ricas Ciudad Blanca, welche außer ihren typischen, puertas del sol genannten Son-nentüren, ok, sowie dem Museo Ecológico del Sabanero, nichts wirklich Sehenswertes bietet, exterritorial verborgen sein.
Lediglich über Liberias Plätze, durch seine Straßen und Gassen, weht heutzutage noch leises, aufgeregtes Geflüster echter Ortsansässiger, vor langer Zeit einmal, weit vor Ankunft der Spa-nier, hätte glänzendes aztekisches Liebesgold den weiten Weg von Tenochtitlán als teueres Brautgeschenk für eine wunderschöne Prinzessin seinen Weg hierher nach Guanacaste ge-funden. Jeder einheimische Mann, jede einheimische Frau, jedes einheimische Kind kennt die- se von Generation zu Generation mündlich tradierte Romanze über erfülltes Glück, verbunden mit strengsten Auflagen, sie niemals, wirklich niemals irgendwelchen Reisenden, Zugezoge-nen oder anderen dahergelaufenen Fremden weiterzuerzählen.
Doch manchmal, ja, manchmal steigen selbst wohlgehütetste lokale Mythen gen Himmel auf, wenn etwa exotische Tiere, sagen wir zum Beispiel Tukane mit ihren neugierigen, spitzen, al-les erdenkliche wissen wollenden Gehörgängen, ausgerechnet in dem Moment Liberia über-fliegen, wenn Klatschexpertin Mama Conchita Nachbarstochter Dolores tratschend berichtet, Kartenlegerin Rosa Famosa hätte zuvor in Puntarenas geweissagt, nächste Woche käme des Mädchens heißersehnter reicher Texaner als Pauschaltourist ins Land gereist. Und sobald beider scheue Blicke sich direkt vor Ermita de la Agoniá errötend träfen, springe lauten Getö-ses deren Portal lauf, worauf Dolores im Inneren jenes legendäre El Dorado fände, das Gott bisher keine Menschenseele sehen ließ.
Genau dieser schier unfassbare Lottojackpot, von Rosa Famosas beruflich stark strapazierter Tarotkarte L'Amoureux prophezeit, genau dieses eine naive Siebzehnjährige verrückt machen-de Orakel schnappte nun ein in Richtung Nordgrenze flatternder, arglose Touristen ausrauben wollender Tukan interessiert auf, den Lateinamerika vom Rio Grande bis Patagonien bis heute furchtsam zitternd El Desperado nennt, in ganz besonders berüchtigten Stadtteilen sogar bis-weilen so wie ihn seine räuberischen Spießgesellen ehrfurchtsvoll rufen: El Diablo.
Besagter Gesetzloser, der sich seit seiner Abfahrt vom schicken, jetzt nicht unbedingt zu Cos-ta Ricas günstigen Unterkünften zählenden Strandhotel an die Fährte eines nun auf der Pan-americana fahrenden komfortablen Luxusreisebusses voller noch fröhlich lachender Tages- ausflügler geheftet hatte, bekam beim Vernehmen süßer, angenehmer, unermessliche Reich-tümer verheißender Sirenenklänge glänzende Augen. Oro! Oro!, jubilierte El Desperado. Cala-mitas! Calamitas!, dagegen Fortuna.
Tags darauf von der geliebten Mutter endlich zum Nachgehen ehrlicher Tätigkeiten bewogen, packte man ihn gleich beim ersten Versuch als hoteleigener Touristenbespaßer wegen spaßi-ger Kritik am Pfeffer des Restaurents auf Befehl von ganz oben. Er wurde eingesperrt und während des allseits beliebten Familien-Poolspiels Yeah! We know all about Costa Rica! als Hauptgewinn verlost. Hierüber wird woanders ausführlicher zu sprechen sein. Jedenfalls ge-staltete sich seine weitere Zukunft so: Ohne Krösus' Krone zu erben von der ältesten Tochter, seinem ihm dank väterlicher Entscheidung aufgezwungenen Frauchen, ungefragt in Herr Tuki Tukan umbenannt, von zwei resoluten Mädchenhänden ins Handgepäck verstaut, erhaschten zwei kläglich aus Alessa Maries Tragetasche herausschauende Augen durch im grellen Mor-genlicht Spiegeleffekte erzeugendes Fensterglas letzte Erinnerungsblicke auf sonniges Hei-matland, ehe es mit den Kaisers a tiempo nach Deutschland ging.


Auf schicksalshafte Weise gelangte also ein bunt verschmolzener Mix aus altindianischer Tra-gik, uralten Flüchen, Münzkunde, Fällen temporärer Miopie, dem Zweiten Weltkrieg, Gangster-abenteuern, Herzen rührenden Liebesgeschichten, Wahrsagekunst, sowie Dummschwätzerei, würdig genug, um auf teuerem Pergamentpapier für unsere Nachfahren festgehalten zu wer-den, über den großen Teich in den Garten von Familie Kaisers gepflegter Doppelhaushäfte, mit dessen Büschen und Bäumen Herr Tuki Tukan alias El Desperado (oder umgekehrt) fortan als Ersatz zum tropischen Regenwald Vorlieb nehmen musste.

So vor Gott und aller Welt bezeugt und geschehen A.D. MMXIV.
Erzählrunde 2
Verständlicherweise sann Herr Tuki Tukan nun, kaum dass er sein neues Urwalddomizil un-freiwillig bezogen hatte, nach Mitteln und Wegen, wie man Hanaus grüner Hölle schleunigst entkommen könnte, um die im Ursprungland unzähliger, in hiesigen Obstabteilungen wohl-sortierter Supermärkte feilgebotener Bananen aufgrund überstürzt eingetretener Ereignisse jäh vereitelten Absichten modifiziert wiederaufleben zu lassen. Bis ihm dazu schließlich im Frühjahr 2015, zwölf Monate nach am Frankfurter Flughafen erfolgter Zwangseinreise ins un-bekannte, fremde Hessenland, zur Zeit der herrlich duftenden Fliederblüte, wenige Wochen nachdem El Desperado den ersten hessischen tropischen Regenwaldwinter bibbernd vor Käl-te miterleben durfte, folgende, nicht anders als von den Musen inspiriert zu nennende Idee kam. Hell blitzenden Streicholzfunken nicht unähnlich.
Sehr schnell hatte er nämlich herausgefunden: Alessa Marie war begeisterte Zuschauerin im Fernsehen gezeigter Dokumentationen über Natur, Länder sowie natürlich auch Tiere, deren Reporter jedesmal über äußerst interessante, teilweise schier unglaubliche Dinge auf unse- rer Welt berichten. Eine für - wie wir wissen - neugierige Pfefferfresser geradezu verlockende Freizeitbeschäftigung. So kam es, dass beide eines schönen Samstagabends zwei Sendungen über die Vereinigten Staaten von Amerika, kurz USA genannt, sahen, welche unter anderem jenem im Bundesstaat Nevada auffindbaren Spielerparadies Las Vegas einige Minuten wert-volle Aufmerksamkeit widmeten.
Doch obwohl es sich wirklich nur um wenige Minuten handelte, reichten 560 Sekunden aus, um den hypnotisierenden Namen, welcher Optimisten glauben lässt, Fortuna, wohlgesonnen, werde dort brav in ihrem Sinne die flinken Roulettekugeln antreiben, ihm tief ins Gehirn ein-zuprägen. Kaum also war das Fernsehgerät ausgeschaltet, hatte sich El Desperado, erfasst vom Glauben ans wir Erdöl schießende Geld, folgendes Vorhaben in den Kopf gesetzt: Als ers-ten wichtigen Abschnitt seines unglaublichen Plans musste er einen möglichst günstigen Flug nach Costa Rica buchen. Von San José sollte ihn dann eigener kräftiger Flügelschlag gänzlich kostenlos weiter Richtung Liberia bringen. In Ermita de la Agonía flux den Schatz von El Dora-do an sich gerissen und zu klingendem Bargeld gemacht, war im nächsten, entscheidenden Schritt das nunmehr egal wie teure Flugziel Las Vegas anvisiert, um mit dem horrenden Fin-derlohn sämtlichen Casinos dieser weltberühmten Zockerstadt als von der lieblichen Ocea-nustochter heiß geküsster Vabanquespieler, gleich mehrere Besuche hintereinander abzustat-ten. Am gefährlichen Roulettetisch jubelnd beklatscht mühelos die Shows des legendären Ma-gierduos Siegfrid&Roy übertrumpfend.
Und Herr Tuki Tukan sah sich dabei im Hanauer Amazonas bereits von gutaussehenden, ko-ketten, jüngeren Damen umringt, die, während Croupier Bob demprimiert, fast schon unwillig, dem strahlend krächzenden Seriengewinner den nächsten völlig überdimensionierten Jeton-berg, höher als Europas Mont Blanc, zuschiebt, mit der Herausgabe ihrer privaten Handynum-mern zwecks exklusiver Teilnahme bald in seiner luxuriös ausgestatteten Nobelvilla nahe des Feuerberges El Arenal steigender feuchtfröhlicher Champagnerfeiern nicht geizen. Schließ-lich wollen Cathy, Tracy, Jamie und Stacie zwischendurch gemeinsam mit dem superlässigen Lateinamerikaner kichernd ins angeschlossene Badebecken hüpfen, wo vulkanisch erwärm- tes Wasser direkt aus Costa Ricas Erdtiefen sprudelt. Denn ermüdete Luxusgirls wissen: Nach der anstrengenden Party ist stets vor der anstregenden Party, so let's take a bath!


Um nun aber quasi im Sinn psychologischer Selbstbelohnung für die just in dem Moment mit der Eigennote summa cum laude promovierten geistigen Höchstleistungen sein darüber ah-nungsloses Frauchen zusätzlich noch ganz besonders fies zu ärgern, hüpfte Herr Tuki Tukan an diesem wonnigen Maitag anno 2015 jedesmal ausgerechnet dann etwas auf und ab, kurz bevor Alessa Marie zum Fotografieren des einst im Stechen gegen Familie Jackson aus Sault Ste. Marie am kühlen Hotelpool gewonnen ersten Preises unter verklärten Engelsblicken fünf allerbester Freundinnen vor dem betörendste Düfte verströmenden Fliederzweig, welchen er sich als Stammplatz samt dazugehörigem Baum unter den Nagel gerissen hatte, fachfrauisch den Kamerauslöser drückte. Doch trotz energischer, teils verzweifelt anmutender Komman-dos wie EYYYYYYYYY, JETZT BLEIB GEFÄLLIGST SITZEN!!!!, gepaart mit einem fünfstimmigen, entzückt OMG, IST DER SÜÜÜÜÜÜÜÜSS!!!! singenden Mädchenchor, wollte aufgrund nerven-aufreibender Astschwingungen, kausal verursacht durch das Gesetz physikalisch wirkender Hüpfkräfte, keine einzige jener Sorte Nahaufnahmen gelingen, bei denen anschließende Be-trachterfreuden infolge dem pedantischen Expertenblick auf beruhigende Weise durchgehend scharf erscheinender Fotos vollkommen ungetrübt bleiben. OMG, CAISLIN, AMANDA, JANINA, MARIELLA, PAULA. OMG. OMG. SCHAUT DOCH NUR DAAAAAAA: DAS BLATT OBEN RECHTS IST EINFACH NICHTS GEWORDEN!!!! NEEEEEEIIIINNNNNNN, UND GUCKT MAL, DIE FLIEDERBLÜTE VORNE KANN ICH JA MAL VOLL VERGESSEN!!!! NEEEEEIIIIIINNN, ALLES UMSONST GEWESEN, NEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIINNNNNNN!!!!!!!!!!!!! --- Hm, aber auf Bild 2 geht sie doch eigentlich, was meinst du, Jani?, begann Caislin ihre angestammte Rolle als Trösterin. Zu spät. Die Künstlerin sank gerade einer Ohnmacht nahe in Amandas, Paulas und Mariellas stützende Arme.



DIE KANN ICH ALLE LÖSCHEN! ALLE!!!! ALLE!!!!!!! ALLE!!!!!!!!!! ALLE!!!!!!!!!!!!, schallten wütende Schluchzer laut übers elterliche Grundstück, woraufhin eine heulende Fotografin unter solida- rischen Beistandsbekundungen zurück ins Wohnzimmer eilte. BUMMMMM!!!!!!!!, tönte dumpf Kaisers Terrassentür hinter sechs empört dreinblickenden Grazien verächtlich zum schaden- frohen Costa Ricaner herüber. Hehehehehehehe, grinste der gesetzlose Pfefferfresser listig, la princesa entende, que ahora mismo yo pongo las condiciones en claro aquí! Übersetzung: Die Prinzessin kapiert, dass ich hier gerade die Verhältnisse klarstelle!

Was im Frühjahr 2014 mit ersten theoretischen Überlegungen begann erreichte also wie wir sahen binnen eines Jahres ein so weit fortgeschrittenes hypothetisches Stadium, dass Alessa Maries planerisch frisch provomoviertes Haustier am 05. Mai 2015 auf dem Fliederzweig hüp-fend gedachte, sich als nunmehr Herr Dr. phil. Tuki Tukan über eine Antrittsvorlesung zum Thema Meine geniale Idee im klassischen Praxistest. Ein empirischer Selbstversuch unter analytischer Zugrundelegung des Glückspielfaktors weiter zu habilitieren.
Das Experiment folgte denkbar einfachen Strickmustern: Damit seine doch recht ehrgeizigen akademischen Ziele ihm nicht den unrühmlichen Spitznamen Zerstreuter Professor einbrach-ten, stellte unser hoher Gelehrter nämlich nach eingehender wissenschaftlicher Medienanaly-se jener kompletten James Bond Filmsammlung, welche er irgendwann einmal während des täglichen Herumschnüffelns zufällig im Schrankregal rechts neben Kaisers Großbildfernseher aufgestöbert hatte, die Fachkollegen schwer beeindruckende Theorie auf, man müsse nur ge-duldig den Zeitpunkt abwarten, bis jene unter dem Decknamen Fleißiges Lieschen auf Alessa Maries innig geliebter Sozialen Netzwerkseite Spionagetätigkeiten aller Art anbietende Agen-tin, die für Accounts aus Gründen absoluter Geheimhaltung außer Blumen niemals reale Bil-der verwendet, endlich am Tor unwissender Hausbesitzer klingelt und diskret jemanden zu sprechen wünschend um raschen Einlass bittet.

Pssssssssssssttt! Hey! Hey, du! Komm doch mal hoch zu mir!, malte er sich auf eigentlich Kai-sers (faktisch jedoch ihm) gehörendem Fliederbaum warme Frühlingsluft genießend in exoti- schen Klangfarben jene süß hauchende, verführerisch anmutende Damenstimme aus, deren gut gepflegte Hände ihn sanft emporhoben, um mit ihm auf adäquater Augenhöhe kommuni-zieren zu können, nachdem Frau Kaiser eine herrlich duftende, modisch gekleidete, dazu auch noch verflixt gutaussehende Achtzehnjährige sprachlos auf die Terrasse geleitet hatte. WAS? WER? ICH? --- Pschschschschscht!!!! Die Nachbarn! Genauuuuuuuuu! Unserem gemeinsamen Chat nach zu beurteilen scheinst du mir ein sehr gerissener Tukan zu sein! --- Echt? Hey, ja, das stimmt, ich bin sogar ein sehr gerissener Tukan *krächzkrächzkrächzkrächz*, ich bin EL DESPE... --- Pschschschschscht!!!! Die Nachbarn! Genauuuuuuuuu! Weiß ich doch, Kleiner, El Desperado nennt man dich! Und weil ich das weiß, habe ich von meinen drei Freunden be-kommen, wonach du dich sehnst. --- EHRLICH? DU HAST VON DEN ZAUBER... --- Pschschsch- schscht! Die Nachbarn! Genauuuuuuu! Für nur 500$! --- WAAAAS? FÜR NUR FÜNFHUND... --- Pschschschschscht! Die Nachbarn! Genauuuuuuuuuuuu! Du hast richtig gehört. Für nur 500$. Solche Angebote zum Vorzugspreis kann man nicht ausschlagen!
Versierte Experten der Sesamstraße erkennen an der Art des Gesprächsverlauf sofort: So wie der sympathische Ernie vom gewieften Buchstaben- und Zahlenverkäufer ein "O" oder eine "8" erwarb, würde diese wilde Biene Lateinamerikas abgebrühtestem Pfefferfresser ohne Gesetz jenen einmaligen Trick verkaufen, welcher am Roulettetisch tatsächlich jedes Casino auf Er-den zur Plünderung freigab.
Lieutenant Goldfinger, wie sich unser Costa Ricaner neuerdings lieber nannte, besaß nämlich das für Tukane schier unglaubliche Glück, dass die Miezekatze, deren drei Minuten nach Re-gistrierung seines eigenen Accounts eingegangene Freundschaftsanfrage selbstverständlich postwendend akzeptiert worden war, in ihrer endlosen Rubrik Meine Freunde ausgerechnet auch jenes berühmte Trio "Freunde" nennen durfte, welches aufgrund unfassbarer, bestimmt auf magischen Kräften beruhender Geschicklichkeit einst unter dem Namen Zauberglöckchen für internationale Schlagzeilen sorgte. Von sämltichen Spielhöllen weltweit gefürchtet. Fairer-weise auf der Sperrliste für ewige Zeiten geführt. Gelang es doch den Dreien mit jeweils nur einer einzigen Rouletteumdrehung hintereinander Macau, Monaco, Deauville, Baden Baden, Wiesbaden sowie Bad Homburg ohne mit der Wimper zu zucken in die Knie zu zwingen.



Ja. Zu dieser wissenschaftlich belegbaren Hypothese sollte Lieutenant Goldfingers Habilita-tionsschrift alsbald gelangen. So war es geplant. Ja. So hatte es Lieutenant Goldfingers mes-serschafer Verstand neunmalklug ausbaldowert. Ja. Eines schönen Tages würde es an Kai-sers schmucker Doppelhaushälfte klingeln. Geheimagentin Fleißiges Lieschen würde heiter scherzend Frau Kaiser mit frei erfundenen, an den Haaren herbeigezogenen Geschichten über die Beweggründe des offensichtlich unerwarteten Damenbesuchs dreist hinters Licht führen, durch das Wohnzimmer trällernd zu ihm in den Garten schlendern und dort dem gut zahlen-den Auftrageber von ihren Freunden, den Zauberglöckchen, bislang wohlgehütete, am Rou-lettetisch millionenschwere Casinotricks dezent zum Schnäppchenvorzugspreis anbieten... unter Freunden.
Die geschickt eingefädelte Agentenoperation Hokuspokus war jedoch trotz brillanter Planung sowie Fräulein Lieschens beglaubigter Seriosität aufgrund stets wachsamer Blicke der Nach-barn beziehungsweise noch hellhörigerer, routiniert in leicht geöffnete Fensterspalte gehalte-ner Lauschorgane dermaßen riskant, dass sogar der für besagten Geheimnisverkauf ausge-machte Treffpunkt Fliederbaum gegen Mittag vor unerträglich steigender Anspannung wie Espenlaub zitterte - während das Jetongebirge in gierigen Augen mittlerweile dem Himalaya ernsthafte Konkurrenz machte.

Erzählrunde 3
Zwei Jahre unerträglich harter Wissenschaftsarbeit strichen ins Land. Zwei Jahre knallhartes Feilschen auf Englisch in wildromantisch geführten Chatgesprächen, als ob sich beide beim Candlelight Dinner verliebt anschmachtend direkt gegenübersäßen, um Lieschen als feuriger Latin Lover berechend davon zu überzeugen, seine gedanklich ausgemalten 500$ seien unter jetzt zwar noch schüchtern Anbandelnden, später jedoch Waikikis palmengesäumten weißen Strand eng umschlungen entlanglaufenden frisch Getrauten preislich angemessen. Obwohl aber die nicht minder abgebrühte, im früheren Job wohl Vollblutauktionarin gewesene Verlob-te zu seinem Verdruss ihn sowie aus allen Herren Ländern Mitbietende per zeitgleich eben-falls von Amor bewegten digitalen Sprechblasen geschäftstüchtig gegeneinander ausspielend den Internetauktionspreis immer höher trieb, erschien El Desperado der für letztlich 250.000$ erhaltene Zuschlag, mit welchem er den nun sicherlich vor Wut bebenden Herrscher des Öl-emirates Fata Morgana endgültig in die Wüste schickte, wie Nichts im Vergleich zur verloc-kenden Aussicht, die achtzehnjährige Blume, Cathy, Tracy, Jamie und Stacie anführend, als erste zu ihm kichernd ins Entspannungsvergnügen pur spendende Nass steigen zu sehen. Die nach erfolgreich getätigter Banküberweisung postwendend im Chat erscheinende, mit zwölf roten Herzchen verzierte Nachricht I love you, Touci Pooh, because you are my 007 Tututututu Touci Pooh!, bewies: Er hatte bei der Damenwelt erwartungsgemäß alles richtig gemacht.
Das ging runter wie Öl. My 007 Tututututu Touci Pooh. Sein prahlerisches, angelesenes Ange-berwissen über jeden einzelnen James Bond Darsteller zeigte Wirkung. Endlich sendete Lies-chen dem Flirtprofi von der Playa de Coco jenes sehnlichst erwartete Signal konkreter wer-dender weiblicher Annäherungsbereitschaft. Nach zwei ewig langen Jahren schüchternen, als Auktionsveranstaltung getarnten mädchenhaften Zögerns hatte Tucano Casanova sie endlich drinnen im Pool. Mit aufgesetzter tiefdunkler Sonnenbrille wäre es kaum klarer erkennbar ge- wesen. I love you too, Lieschen, my sweet honey bee!!!!, tippte er nach den mit nur einer Rou-letteumdrehung lässig zurückzahlbaren albernen, einem angesichts gerade gewonnener as-tronomischer Beträge peinlich knauserigem Croupiertrinkgeld ähnelnden 250.000$ sowie Lie-schens Poolgesellschaft lechzend sofort hastig ins Chatfeld.
So wurden sie sich rasch handelseinig: Am 03. August 2017, mittags Punkt 14 Uhr Hanauer Ortszeit würde ihm Sweet Honey Bee den Universalschlüssel zu Onkel Dagoberts Geldspei- cher überreichen; doch anders als 2015 der Flieder beim frisch gebackenen Doktor, vibrierte an diesem Tag das unbelebte Material des Professorenstuhls, auf welchem unser bald Habili-tierter lange vor der würdevollen Zeremonie einfach schon mal gemütlich Platz nahm, nicht.

Der 03. August 2017, genauer Zeitpunkt beim Gongschlag 14 Uhr, kam, wie das Amen in der Kirche. Als die nahegelegenen Kirchturmglocken irgendwann dann mal 18 Uhr läuteten, flat-terte jemand immer noch äußerst zuversichtlich dreinschauend zum nächstverfügbaren Lap-top, um auf seinem Account beruhigende Hinweise bezüglich der durchaus legitimen Frage zu finden, weshalb bloß das beste Pferd des Secret Service nicht zum vereinbarten Termin am vereinbarten Treffpunkt galoppiert kam. Auch wenn Lieutenant Goldfinger besagten Univer-salschlüssel bislang ausschließlich träumend mit raffgierigsten Krallen packte, konnte es sich jetzt nur noch um wenige Augenblicke handeln, von Lieschen in für unwürdige Cretins streng geheime Glücksspielmysterien eingeweiht zu werden. Geduld, Geduld, alles ist gut!, lautete daher die ausgegebene Parole.
Der Optimist behielt Recht. Selbst Spionen passieren nämlich gelegentlich jene höchst ärger-lichen Flugerlebnisse, von denen manche unter Ihnen bestimmt aus leidvoller Erfahrung ein Lied singen können. Im Chatpostfach fand Herr Tuki Tukan eine mit unzähligen traurig wei-nenden Emojis garnierte Mitteilung. Unter Tränen schilderte Lieschen, wie ihr Flieger nach er-folgreicher Beendigung des letzten Auftrages pünktlich von Honkong aus nach Singapur ge-startet war. Der Flug verlief gut, und bei fast wolkenlosem Himmel überflog man Vietnams Küstenlinie. Das Ziel zum Greifen nahe, zwang ein über den Stadtstaat fegender Tropensturm den Piloten allerdings zum Einlegen mehrer Ehrenrunden, bis CX735 endlich Landeerlaubnis erhielt. Neunzig Minuten verspätet ins Terminal 1 stürmend stellte Lieschen wütend fest, dass ihr Anschlussflug Changi Airport längst Goodbye! gesagt hatte. Mit Looooooooving kisses from Singapore, see you tomorrow, same time same place. Miss you soooooooo much my 007 Tutu-tututu Tuci Pooh! PS: By the way, there are some pictures from my flight, only for you. Enyoy! endete die Mitteilung, welche anhand vier angefügter Fotos bewies: Lieschens Nichterschei- nen beruhte auf höherer Gewalt.




Der 04. August 2017, genauer Zeitpunkt beim Gongschlag 14 Uhr, kam, wie das Amen in der Kirche. Als die nahegelegenen Kirchturmglocken irgendwann dann mal 18 Uht läuteten, flat-terte jemand immer noch äußerst zuversichtlich dreinschauend zum nächstverfügbaren Lap-top, um auf seinem Account beruhigende Hinweise bezüglich der durchaus legitimen Frage zu finden, weshalb bloß das beste Pferd des Secret Service nicht zum vereinbarten Termin am vereinbarten Treffpunkt galoppiert kam. Auch wenn Lieutenant Goldfinger besagten Univer-salschlüssel bislang ausschließlich träumend mit raffgierigen Krallen packte, konnte es sich jetzt nur noch um wenige Augenblicke handeln, von Lieschen in für unwürdige Cretins streng geheime Glücksspielmysterien eingeweiht zu werden. Patiencia, patiencia, todo bien!, lautete daher die ausgegebene Parole.
Der Optimist behielt Unrecht. Selbst Spionen unterlaufen nämlich bisweilen Dilettantenfehler, welche selbst einfältigsten Tukangemütern gleich mehrere Lichter aufgehen lassen. Im Chat-postfach entdeckte unser Mittelamarikaner eine mit unzähligen heiter lächelnden Emojis gar-nierte Nachricht. Fröhlich schrieb Lieschen, wie Flug SQ326 pünktlich in Frankfurt gelandet war. Am Gepäckband stehend, traf sie dort - die Welt ist klein - ihre allerbeste Agentinnen-freundin. Seit über zehn Jahren hatten sie sich nun nicht mehr gesehen, und so beschlossen zwei überschwengliche Wiedersehensfreude artikulierende Überraschte spontan, beim Essen über alte Zeiten zu quatschen. Mit See you at 10.00 PM, same place. PS: By the way, there are some pictures from my flight. Enjoy! endete die Mitteilung, welche anhand vier angefügter Fo-tos bewies: Lieschens Nichterscheinen beruhte auf betrügerischen Absichten.




Finanzpanik ergriff ihn. Madre de Dio!!!!, klangen bereits kurz nach Beginn des Unternehmens Hokuspokus tukanisch klagende Schluchzlaute durch die laue Abendluft jener Augusttage, an denen drückende Temperaturen Maximalgewichte erreichen, vom Professorenpult bis in ent-legenste Gartenwinkel. Bei der heiligen Agata de las Sierras Blancas, weh mir, ich bin da wohl auf eine ganz miese Fake-Userin hereingefallen!!!!
Weil Lieutenant Goldfinger auch nach zehnfachem Hinschauen einfach nicht glauben konnte, was ihm Lieschens total lieb gemeinter Fotoanhang Ungemütliches offenbarte, beschloss er, erstmal in Ruhe über die ganze Angelegenheit zu schlafen, seine arg strapazierten Nerven zu beruhigen, um am nächsten Morgen ausgeschlafen nachzuschauen, ob lediglich überpropor-tional hohe Anspannung seinen Augen üble Streiche gespielt hatte.
So flog Herr Tuki Tukan sofort in aller Herrgottsfrühe mit einer Kombination aus schrecklicher Vorahnung sowie dem verzweifelten Mut des Tapferen hinauf in Alessa Maries Zimmer, um, während Madame tief und fest ruhte, am Laptop erneut seinen Account zu öffnen; zur heiligen Agata betend diesmal glückicherweise wieder erfreuliche, ruckzuck etwaige Missverständnis-se beseitigende Agentenbotschaften zu lesen.
Hola, que passa aquí?, kreischten bald darauf schrille Schnabellaute zur größten Verärgerung seines gerade eben noch im wohlverdienten ferienhaften Schönheitsschlaf befindlichen Frau-chens quer durch den Raum, nachdem zwei ungläubig starrende Augen realisierten, dass ih-nen direkt unter dem seriös wirkenden, bis dato kein einziges Mal ausgetauschten Profilbild von sweeeeeetcuty_FleißigesLieschen_loooooveagent eine bei Communitymitgliedern extrem gefürchtete Zusatzinformation grausam realistisch entgegenlachte: Gesperrt.
El Desperado verblieben allerdings nur zehn Sekunden, nach dem Aufkrächzen an Alessa Ma-ries elektronischem Spielgerät eigene Versäumnisse, welche derart dramatische Entwicklun- gen möglicherweise begünstigten, kritisch aufzuarbeiten. Stürmischst aufbrausendes Erwa-chen oder Windstärke 12 auf der Beaufort-Skala erfasste unseren Protagonisten wie über Be-lize rasende Hurricans, wirbelte ihn, leicht mit todesverachtenden Luftakrobaten des chinesi-schen Staatszirkus' verwechselbar, rasanter als sonst zur Gelnhausener Marienkirche.

Nachdem er hoch oben auf dem Wetterhahn des wuchtigen Westturms sein tägliches Pensum Liegestützen, Kniebeugen, Kopfstände und andere Gymnastikübungen zum Entzücken Einhei-mischer sowie zur Kirche spazierender Tagesbesucher absolviert hatte (was ihm diesmal ver-ständlicherweise weniger gut gelang), war der aufgeschreckte künftige Casinoschreck in jetzt wieder normalem Flugstil nach Hanau zurückgeflogen. Große, unangenehm große Herausfor- derungen harrten seiner. Demütigende, peinliche, Schuldeingeständnisse auf besagtem, von Alessa Marie Chefinnethron genannten Professorenpult, um dort gravierende Defizite beim Internetumgang wimmernd Revue passieren zu lassen.

Was war geschehen? Nur knapp drei Monaten zuvor nämlich trug El Desperado jenes vom Bankvorstandsvorsitzenden höchstpersönlich überreichte Kreditbewilligungsschreiben noch siegreich im Schnabel nach Hause. Zwei aktuelle lokale Tagesblättchen sowie die damals vom dauergrinsenden, sonnengebräunten, coolen, junge weibliche Gäste erfolgreich anflirtenden Animateur, Surfprofi Ken aus Kapstadt, Herrn Kaiser kumpelhaft in die Hand gedrückte, auf Familie Kaiser ausgestellte Tukangewinnurkunde vorzeigend wurde das nachweisliche Mitei- gentum des auf Seite 1 großformatig mit dem Oberbürgermeister wettkampfmäßig strahlen-den ehemaligen Krankenpflegers betreffs seines Anliegens binnen einer Minute per Mausklick unter dem Vermerk VIP Bonität +++++ geführt.
So hatten fast alle etwas zu lachen. Der eine, mittlerweile siebenfacher Alleinabstauber beim Euro Jackpot, wollte es vor Glück kaum fassen, sich, Gattin und Töchter just vor drei Tagen in den Adelsstand eingekauft zu haben, der andere frohlockte, inzwischen sogar vom renom-mierten Hanauer Psychiater Ambrosianus dringend angemahnte Ausbesserungen der maro-den, vollkommen desolaten Straßen und Bürgersteige über großzügige Spenden einer golde- nen Weihnachtsgans finanzieren zu können, damit dessen Patienten ständiges Stolpern künf-tig für keine Erdbeben mehr hielten. Der Dritte jedoch dankte Jakob Fuggers Geist inbrünstig dafür, dass er über diesen gefiederten Bittsteller 17,5% Zinsgewinn einstrich.
Nur für Lieutenant Goldfinger gab es nichts zu lachen. Tatsächlich ist am Laptop der Glaube töricht, auf einem für Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren als Zielgruppe ausgelegten Sozia-len Netzwerk gäbe es wahre Liebe fürs Leben suchende sechzehnjährige Agentinnen mit acht Jahren Berufserfahrung. Registriert auf einer Internetseite, deren Gefahren sein dort bereits länger angemeldetes Frauchen stets eindringlich hervorhob: Niemals, wirklich niemals, pre-digte Alessa Marie tagtäglich äußerst besorgt, dürfe er dort auf eigene Faust Communitymit- glied werden; und ohne Beisein sei mit Hilfe des frechen Schnabels oder gar vorwitziger Füß-chen erfolgendes Einloggen auf ihrem Account grundsätzlich tabu.
Aber als User banditoTucano_amore, Mädchen im worlwide web grenzenlos vertrauend, die komplette Lebensvita detailreich ausgeschmückt ausplauderte, inclusive aktuell gültiger Ad-ressen - auch die von Papa und Mama Tukan - wollte er 2015 bei Chatbeginn Ratschläge In-terneterfahrener einfach nicht hören. ZACK, prompt waren sie 2017 weg jene 250.000$, wel-che Herr Tuki Tukan natürlich liebend gern an eine von Teinehmerin Lieschen genannte Kon-tonummer in San José überwies. Gegen Vorlage exzellenter Referenzen wie Zuckerschlecken vom Bankvorstandsvorsitzenden bewilligtes Kreditgeld.
Doch bedauernswerterweise, Herr Doktor auf dem hohen Gelehrtenstuhl, prallte bei all die-sen verspätet eintreffenden bitteren Erkenntnissen selbst rührseliges Gejammer wie Und da-bei hatte ich doch als Vorsichtsmaßnahme gegen Internetkriminalität Lieschen extra noch auf ihr Profilbild anspielend gefragt, ob Blumen überhaupt in der Lage sind, Agententätigkeiten auszuüben! gegen kalte Granitwände. Ein kokettes Oh my Tututututututuci Poooooooooh, your are soooooo sweet. Logically they can do because every day plants and flowers live and speak like James Bond 007 in his films. Don't you really know that???? muss trotz sich unermüdlich abwechselnder "Love" und "Nerd" Emojis nicht unbedingt automatisch bedeuten, dass mit blu-migen Worten argumentierende Agentinnen jedes Mal meinen, was sie erzählen. Oder hast du dich nie ernsthaft gefragt, warum in Hanaus Gartenbetrieben sämtliche Calibrachoae stumm blieben als sie von dir zur doppelten Absicherung über die Vertrauenswürdigkeit ihrer costa ricanischen Verwandten ausgehorcht werden sollten?
Um 12.30 Uhr gab Kaisers Familiengericht dem reuigen Angeklagten das Urteil bekannt: MIR DOCH SCHNUPPE!!!! SEHE ER NUR GEFÄLLIGST ZU, DASS ER AVEC GRANDE VITESSE UNSERE MONNAIE WIEDER AUFTREIBT!!!! ANSONSTEN SCHMEISST MON PÈRE IHN SOFORT RAUS!!!! DANN MAG ER MEINETWEGEN AUF DEN OBERLEITUNGSMASTEN AM STEINHEIMER GARE, WENN'S BITTER KALT UND WINDIG IST, GAR TREFFLICHE MENUETTE TANZEN WIE'S BELIEBT, WÄHREND UNTER IHM DIE TRAINS BRAV EN MESURE VORBEIRAUSCHEN!!!!

UND DAMIT ES BIS ZUM AMUSEMENT JA NICHT ALLZU WEIT ENTFERNT SEIE, BEZIEHE ER AVEC NOTRE PRIVILÈGE GERNE DAS DORTIGE SIGNALGESTELL ALS TRÈS FORMIDABLE VO-LIÈRE. SIE DIENE WOHL ZUM KLETTERN UND HÜPFEN WIE'S IN COSTA RICAS URWALDBÄU- MEN TUKANISCHER VÄTER SITTE.

ÀPROPOS: AUS DEM ÜBERALL HERUMLIEGENDEN PAPIER BASTELE SICH MONSIEUR TOUCAN DANN AVEC PLAISIR EINEN CONFORTABLEN WINDSCHUTZ, DENN DER ERSTE EISIG FEGENDE HERBSTWIND SOLL IHM NATURELLEMENT HOCHOBEN NICHT ZU ZUGIG WERDEN!!!!

Während die junge, barsch à la mode parlierende Marquise dabei zur theatralischen Unterma-lung so demonstrativ mit dem rechten Schühchen stampfte, dass ihre aufwendige Turmfrisur à la Marie Antoinette mehrmals ernsthaft ins Ungleichgewicht geriet, umliegende Nachbarn zwecks dringend notwendiger Glasreinigungen großzügig geöffnete Fenster gewiss bald wie-der wie auf Kommando schließen würden, stolzierte des adligen Fräuleins Vater, der Graf, ge-kleidet à la Louis XVI., mit ausgestreckten Armen beide Zeigefinger wichtigtuerisch auf Lieute- nant Goldfinger richtend durch die aufstehende Terrassentür zum Chefinnenthron. Allez, al-lez, allez Toucan, dans la salle de séjour le billet d'avion est sur la table. Bon voyage! --- Und vergesse er ja nur die retour nicht, sonst wird Costa Rica à nouveau spanische Kolonie, und le grand Roy Philippe liefert ihn sicher gerne aus. Fort mit ihm!
Entsetzt über die Vorstellung, sein über alles geliebtes Heimatland könne bald erneut dem un-erträglichen Joch Spaniens anheimfallen, fand sich El Desperado, das Urteil besser anneh-mend, daher gegen 19 Uhr am Frankfurter Airport an Gate B14/ B60 wieder, Ziel San José, als Patriot festen Willens, Lieschen rechtzeitig aufzuspüren, bevor Zentralamerikas reicher Küste Schlimmes wiederführe. Sichtlich irritierten Airline-Mitarbeitern beim Boarding schwörend, nur mit gräflichen 250.000$ im Gepäck werde man den Rückflug antreten, verließ er das Flug-hafengebäude und sprach: Hasta luego, muchachos!


Erzählrunde 4
Nachdem Frankfurts Vorfeldbus den ersten großen Schwung Fluggäste ohne unterwegs er-folgte Blechschäden wohlbehalten zur Position gefahren hatte (was beim vielen Verkehr auf der Rollbahn für Menschen ohne Vorfeldführerschein oft wie wahre Wunder anmutet), flatter-te El Deperado missmutig in Richtung der gerade in vollem Gange abgefertigten Maschine, um sich schnellstmöglich auf seinem urgemütlichen Business Class Fensterplatz niederzulassen. El Diablo beschlich nämlich seit Betreten des Gatebereichs jenes ungute Gefühl, das sonnen-hungrige Urlaubsvolk lehne Lateinamerikas fürchterlichsten Gangster als vollwertigen Mitrei-senden ab. Schon vor Boardingbeginn konnte sich Herr Tuki Tukan des üblen Verdachts nicht erwehren, stattdessen vielmehr für einen vom Veranstalter angeheuerten Bordunterhalter ge-halten zu werden.
Besonders dieses junge, frischgebackene, engstens umschlungene, äußerst infantil agierende Ehepaar war Lieutenant Goldfinger hierbei besonders negativ aufgefallen. Während ihrer zwi-schen kaum endenden wollenden Knutschattacken dringend benötigten Atempausen warfen die Frischvermählten ständig albern kichernde Blicke herüber. Entsetzlich! Sogar im schau-kelnden Gefährt starrten beide ihn beim romantischen Verschnaufen fast losprustend an. Als säße dort kein Tukan, sondern irgendein Exot mit Unterhaltungsqualität.
Endlich öffnete Fahrer Benny alle Türen. Madre de Dio, bloß schnell raus! Weg von diesen all inclusive Dom Rep Touristen! Jede Putzfrau kann sich Punta Cana leisten. Zum Glück fliege ich in ein Land, das lieber gezielt auf gediegenen Urlaub setzt, zwar extrem teuer, aber dafür sind dann die gut zahlenden Reisenden fernab der Masse für zwei, drei Wochen rundum glücklich. So soll es sein!, sinnierte Familie Kaisers einstiger Hauptgewinn und versuchte daher, den Ab-stand zum turtelnden Billigurlaubspärchen von "sehr nah" geschwind auf standesgemäß "un-endlich weit" zu vergrößern.
Doch Romantik pur verströmenden Liebende lassen sich nicht so einfach abschütteln. Händ-chen haltend folgten sie seinen wilden Flügelschlägen schnurstracks hinterher. Mist, das sind Profis, erkannte El Diablo, wissen genau, was für ein Gedränge gleich auf dem Economy Gang los sein wird, wollen natürlich die ersten sein. Pah, Fußvolk!
Hihihihihihi, schau nur, Mützelchen, hihihihihihi, der total ulkige Tukan fliegt auch mit uns!, rief die zu 100% einer total verknallten Teenagerin gleichende Ehefrau. Hihihihihihihihihi, siiiiiieee-eeehhhhhssst du, Pützelchen, ich hatte Recht, antwortete der zu 100% einem total verknallten Teenager gleichende Ehemann, das unser ist Bordanimateur. So wie am Hotelpool. --- Huhu-huhuhuhu, hihihihihihi, du kennst dich immer so gut aus, Mützelchen! Garantiert ein richtiger Spaßvogel! Hihihihihi, dabei sieht er gar nicht wie ein echter Tukan aus. --- Oooooooooohhhhh, huhuhuhuhuhu, jetzt wo du's sagst, ja, oh, hihihihihihi, mehr so wie ein Stofftier, das elektrisch fliegen kann. --- Hihihihihihihihihihi, schau nur seine putzigen Füüüüßchen, mein Gott sind die süüüüüüüßßß! Und schau nur daaaaaaaa, Mützipützi, unser Pilot ist diesmal ein Bäääääär. --- Hihihihihihihi, duuuuuuuuu, Pützmützi, dann gibt's garantiert Hoooooonig zum Bordfrühstück, mmmmmmmhhhh lecker!
Lieutenant Goldfinger blickte auf die Flugzeuglackierung, rollte peinlichlich berührt seine Au-gen. So etwas erlebst du echt nur bei Touristen in die Dominikanische Republik!, ging es ihm durch den Kopf. Gottseidank steigen die allesamt in Santo Domingo aus! Gottseidank!

Und schon sauste unser Held an einer die Passagiere am Flugzeugeingang freundlich begrü-ßenden, sehr sympathisch wirkenden Stewardess vorbei ins Innere.
Die roten Anschnallzeichen waren kaum erloschen, befreite sich El Diablo zu allererst vom lästigen, seine Freiheit enorm einschränkenden Gurt. Kein Costa Ricaner duldet nämlich seit der ruhmreichen Unabhängigkeit von Spanien 1821 jemals wieder dückende Fesseln.
Missmutig schlürfte er auf dem noblen Business Class Fensterplatz letzte Tropfen jenes vor-züglichen heimatlichen Rums, welchen die freundliche, sehr sympathisch wirkende Stewar-dess von der Begrüßung vorhin eingeschenkt hatte. Aaaaaaahhh, tuuut das gut!!!!! Der 62%ige aus Aguacaliente. Bekommt man selbst da kaum. Alles für Touristen sowie Business Class und First Class beiseite geschafft. Komm, grad noch einen!
Den hatte er auch wirklich bitter nötig. Hihihihihihihi, du, dreh dich mal um, Mützelchen, unser Bordanimateur sitzt direkt hinter dir. --- Huhuhuhuhu, jaaaaaaaaa, du hast Recht, Pützelchen, hihihihihihi, dann beginnt sicher gleich das Showprogramm. --- Hihihihihihihihi, er trinkt sich vorher nur kurz etwas Mut an. --- Oooooooh, wie gemein von dir, Pützimützi, hihihihihi. --- Gar nicht gemein, Mützipützi. hihihihihi, komm fang mich doch, bin zuerst ganz hinten am Gang-ende. Kriegst mich nicht, ätsch! --- Hihihihihihi, huhuhuhuhu, hab dich schon, ätsch! --- Oooh, wie gemeeeiin von dir, Mützelchen, du musst doch zuerst bis 3 zählen, damit ich einen Meter Vorsprung habe. Du bist doch immer soooo schnell. Nochmal!
Ääähm...Sie haben sicher Dom Rep gebucht. All inclusive, nehme ich an, unterbrach Herr Tuki Tukan das vertraute eheliche Geplauder, seinen großen Schnabel wissbegierig über die Sitz-lehne steckend. Neeeeeeeiiiiiinnn!!!, wehrten beide gleichzeitig entrüstet, beinahe beleidigt ab. Dom Rep ist Masse. Jede Putzfrau kann sich heutzutage Punta Cana leisten. Hauptsache billig. WIR fliegen nach Coste Rica! Guanacaste. Im Norden. Pazifikküste. Playa de Matapalo. Zwan-zig Kilometer von Liberia entfernt. Sündhaft teuer, meinte selbst unser Reisebüro. Aber wis-sen Sie, man heiratet schließlich nicht täglich. Voll verrückt, in Liberia existiert bis heute eine mexikanische Exklave. Eine alte, seit Kriegsende fest verschlossene Kirche. Irgendein legen-därer Goldschatz. Übermorgen wird sie jedoch nach fast zweiundsiebzig Jahren endlich geöf-fnet. Da kommt eine Aztekenausstellung rein. Steht im Reiseführer. Wussten Sie das? Besu-chen wir natürlich.
Absoluter Tiefschlag. Ne, echt jetzt? Na, das freut mich aber wirklich für Sie. Tut mir leid, noch nie davon gehört. Doch jetzt mal ganz unter uns...Costa Rica...eine denkbar ungünstige Wahl. --- Ich will ja nicht neugierig sein, entgegnete Pützelchens leicht irritierter Gatte, aber warum, wenn ich fragen darf? --- Im Vertrauen. Hand auf's Herz. Hat Sie bei Ihrer Entscheidung kein Mitarbeiter gewarnt? --- Ehrlich gesagt...nein. Wovor sollte uns das Reisebüro denn gewarnt haben? Strömung Humboldtis Extraordinaria, nie gehört? --- Strömung hää? --- Dachte ich's mit doch!, jammerte El Diablo verzweifelt. Man schickt skrupellos ahnungslose Flitterpaare mitten hinein ins blinde Verderben! Hauptsache, die Kasse klingelt! Unverantwortlich!!!!! Zum Glück treffen Sie mich! Ääähm...ohne Ihnen unnötige Angst einflößen zu wollen...ich habe mo-mentan nur einen einzigen, wirklich gut gemeinten Ratschlag für Sie. --- Erzählen Sie weiter! Erzählen Sie weiter! --- Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, und Sie Costa Rica unbeschadet über-stehen wollen, fliegen Sie bitte direkt nach unserer Landung in San José umgehend zurück! Egal wie teuer. Egal mit wie vielen Zwischenstopps. Nur so haben Sie beide gegen den Ozean eine Chance! --- Wollen Sie uns verkaspern????? Sie haben zuviel Rum konsumiert!!!!! Ich bin promovierte Ozeanologin. Kein einziger Meeresstrom trägt einen derart bescheuerten Namen. --- Aber...Pützelchen...du...bitte...lass ihn doch erstmal ausreden. Schau, der Tukan ist Costa Ricaner. Er kennt das Land wie seine eigene Westentasche. Bitte, Pützelchen, lass mich weiter mit ihm sprechen. --- Mach wie du denkst, Oliver! Naiv genug bist du ja! --- Äh, ja, was genau ist denn eigentlich diese Strömung Hu...Hu...Kolumbi... --- Humboldis Extraordinaria. --- Dan-ke. --- Ein Monstrum!!!!! Eine Menschenfresserin!!!!! Gottes Tourismusgeißel!!!!! Ausgerechnet zur Hauptreisezeit taucht jenes gierige Todesgespenst aus den Tiefen des Pazifiks auf, wenn wir es in Costa Rica am allerwenigsten gebrauchen können. Also jetzt. --- Oliver!!!!! Dreh dich sofort wieder zu mir um!!!!! Du riechst doch selber den Rum!!!!! --- Du... Sabrina...aber wenn uns Frau Müller im Reisebüro vielleicht wirklich etwas verschwiegen hat? Ich bin mir hundert- prozentig sicher, er weiß was. Bitte, Sabrina! Bitte! Bitte! --- Na, dann erklären Sie einer pro-movierten Ozeanologin die angebliche Strömung mal genauer.
Aaaaahhh, tut das gut! Der 62%ige aus Aguacaliente. Bekommt man selbst da kaum. Alles für Touristen sowie Business Class und First Class beiseite geschafft. Komm, grad noch einen! Den hatte er auch wirklich bitter nötig. Denn obwohl in allerbester Erzähllaune, ließ sich sein redseliges Sprechwerkzeug im Vergleich zu vorher seltsamerweise nicht mehr ganz so locker öffnen. Strömung Humboldtis Extraordinaria nennen Wissenschaftler eine zwischen Dezem-ber und April auftretende, vermutlich vom fortschreitenden Klimawandel verursachte Störung im mächtigen Humboldtstrom. --- Ach, den kennen Sie? --- Pschscht, du bringst ihn ja völlig durcheinander! --- Bekanntlich basiert der nach dem deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt benannte Strom unter anderem auf sogenanntem Upwelling. Kaltes antarktisches Tiefenwasser steigt auf, erreicht Chiles Westküste, von wo es oberflächennah parallel zum südamerikanischen Kontinent weiter Richtung Norden fließt. Südlich des Äquators, vor Peru beziehungsweise Ecuador, schwenkt Humboldts Strom westwärts, um seinen Weg im weit-eren Verlauf als wärmere Südäquatorialströmung fortzusetzen. Ab Ende November aller-dings, *hicks*, bewegt er sich ungewöhnlich schnell. Folglich gelangt immer mehr antarkti- sches Ursprungswasser empor. Diese erhöhte Fließgeschwindigkeit erzeugt beim Abdrehen von Südamerika permanent gewaltige "Ausreißer". Daher auch die Ergänzung Extraordinaria. Sie können das Phänomen am besten, *hicks*, mit offenen LKW-Ladungen prall gefüllter Kar- toffelsäcke vergleichen. Biegt man allzu rasant ab, purzeln einige herunter. Physik. Und ge-nauso, *hicks*, werden unterhalb des Äquators gewaltige Massen eisigen Wassers - selbst an der Meeresoberfläche messen Forscher vor Ecuador aufgrund äußerst niedriger Thermokline trotz Äquatorlage lediglich 18°C - aus dem Humboldtstrom herauskatapultiert. Abermillionen Kubikmeter sinken rapide ab und durchqueren den Ozean tief unten als Strömung Humboldtis Extraordinaria weiterhin unbeirrt nordwärts. Bis diese schließlich wenige Kilometer von Costa Rica entfernt aufsteigt und mit südpolarer Kraft entlang des gesamten Küstenverlaufs unsere herrlichen Strände erreicht. Volle Breitseite. Sie können das Phänomen am besten, *hicks*, mit der Rhône vergleichen, die nahe Le Bouveret in den wärmeren Genfer See hinabsinkt und bei Genf wieder nach oben kommt; falls man Ihnen sowas im Fach Ozeanologie beibringt. --- Hast du DAS gehört, Oliver, wie unverschämt dieser Kerl zu mir ist? Der hat doch getrunken! Jetzt tu endlich was! --- Äh...äh...aber Sabrina, Pützelchen, bitte, sei doch nicht immer gleich aufgebracht. Glaub mir, er meint es nicht so. Bitte, bitte, Sabrina, lass ihn frei reden. Du, wir kommen gerade einer mega heißen Sache auf die Spur. Aber wenn du ihn anmotzt, weigert er sich am Ende noch weiterzuplaudern. Glaub mir, Sabrina, glaub mir, wir sind haarscharf dran!
​
El Diablo nutzte geschickt die willkommene Unterbrechung, um mit dem Schnabel rasch sein Tablet aus der Reisetasche zu ziehen. Besagtes Naturereignis bewirkt, dass Meerwasser mit Temperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt mein geliebtes Heimatland peinigt. Wie bei Puerto Caldera. Die Aufnahmen entstanden im März 2014 auf der Mole. Von Dezember bis Ap-ril misst der Pazifik dort konstant 1,8°C, *hicks*, einzig und allein Costa Ricas wärmende Son-ne verhindert Eisbildung sowie ein Zufrieren des nahegelegenen Haupthafens Punta Arenas.


BOOAAAHHH!!!!! Sabrina, schau!!!!! Das Meer sieht schon auf den Bildern ausladend aus!!!!!!!!!! BRRRRRR!!!!! Da friere ich ja allein beim Anblick. --- Mensch, kapierst du es nicht, Oliver????? Der Typ hat dämlich fotografiert!!!!! Wie viele Likes? --- Leider null. --- Hahahaha, alles klar, Kleiner! --- Hm...ich weiß nicht, Sabrina...also irgendwie beunruhigen mich seine Aufnahmen. --- Und wo soll sie jetzt bitte schön sein, Ihre Strömung?
Entschuldigen Sie bitte, wenn ich kurz unterbreche, ich bin auch gleich wieder weg!, vernah- men sie in dem Moment jene freundliche, äußerst sympathisch wirkende Flugbegleiterin von der Begrüßung vorhin. Es ist uns wirklich etwas unangenehm, eben ging schon die vierte Be-schwerde ein. Könnten Sie Ihre interessante Unterhaltung ein bisschen leiser fortsetzen? Nur so ein klitzekleines bisschen. Die anderen Businesspassagiere haben wie Sie viel viel Geld be-zahlt. Deshalb: Bitte einfach mehr doucement. Pssssssttt!
​
Aaaaahhh! Das tut gut. Der 62%ige aus Aguacaliente. Bekommt man selbst da kaum. Alles für Touristen sowie Business Class und First Class beiseite geschafft. Komm, grad noch einen! DEN hatte er auch bitter nötig. Bei dem ganzen Misstrauen. O...o...ooozeanolologische Wissen-schaftsexpertennnn sowie Costa Ricaner erkennen das Vorliegen von Strömung Humboldtis Extraordinaria auf den Fotos am atypischen Wellenverlauf. --- Oliver!!!!! Jetzt reicht's mir end-gültig!!!!! Ich sag dir eins: Wenn... --- Pssssstt!!! Bitte, Sabrina! Du weißt doch...die Stewardess! Nur eine Minute. Es dauert garantiert nicht mehr lang. Bitte, Sabrina, hab Geduld! Ich kaufe dir dafür in Liberia auch zwei funkelnde Diamantenketten. Versprochen!!!!! Großes Indianerehren-wort!!!!! --- Normaaaaaaaaaaaaalerweise, *hicks*, normaaaaaaaaaaaaleeeeeeerweise rollt die Brandung mit ausgesprochen laaaaaaaaaaaaannnnggeeeeeennnn Wellen an, von der Mole bis hinten zum Landvorsprung. Angesichts antarktischer Verhältnisse besitzt das klirrende Was-ser jedoch eine Konsistenz, welche ausschließlich den Aufbau kleinerer, lokal begrenzter Wel-len zulässt. Hier, drei weitere Aufnahmen. --- Darf ich? --- Klar.

Oh Gott!!!!! Genau da, in Puerto Caldera, wollten wir auf unserem Transfer einen kurzen Foto- stopp machen. Ehrlich gesagt möchte ich dabei aber nicht von der Mole ins Wasser fallen. Bei 1,8°C. Momentchen...grade mal auf die Karte schauen...hm...gut...dann soll der Taxifahrer vom Flughafen gleich den Weg via San Ramón und Espiritú Santo nehmen, und nicht die geplante Route über Atenas und San Mateo. Bin doch nicht lebensmüde!

Hmmmmmm...irgendwie merkwürdig...darf ich nochmal? --- Klllaaaaaaaaar.

Da...genau dasselbe...wieder komisch... --- Was soll komisch sein, Oliver? --- Schau mal näher hin, Pützelchen, we... --- Und n e n n mich nicht Pützelchen!!!!! Ich hasse das!!!!! --- Ok, ok, Sabrina. Alles gut! Aber auf den Fotos...seltsam...am Strand...keine Menschenseele. --- Hat er bestimmt wegretuschiert. Es gibt so Pedanten. --- Wie leergefegt. Unheimlich. --- Dann lass deinen Herrn Schlaumeier doch einfach weiterquasseln. Lallen tut er ja schon. Bin sicher, er weiß was. --- Bitte, Sabrina, bitte, hör doch endlich damit auf! --- Perfekt beobachtet, Oliver, aah...wir dutzen uns doch? --- Gerne, super. Oliver. --- El Diablo. Weißt du, Amigo, die Sache ist soooooooooooooooooo. Was nützt dir in Costa Rica der beste Strand, wenn du eh nicht ins Wasser kannst? --- Klingt absolut plausibel. Ha! Von wegen wegretuschiert!!!!! --- Eher kämst du komplett barfuß den Mount Everest sowie gleich anschließend den K2 hoch als im Neo-prenanzug zehn Meter weit ins Meer. Diese antarktische Eisbrühe friert einem binnen kurzer Zeit sofort alles weg. Sagen wir mit wirklich guter Kondition maximal fünf Minuten. Dann ge-ben auch sie freiwillig auf. Und jetzt frage ich dich ernsthaft: Was sollen Leute am Strand von Puerto Caldera, von dem sie ohnhin nichts haben? Costa Ricaner denken praktisch. Also blei-ben wir gleich daheim, sparen dadurch unnötiges Benzin und trinken unseren Rum irgendwo bei Freunden.
Sabrina mischte sich wieder ein: Wir sind aber keine Einheimischen. Außerdem ist unser Golf-resort sowieso viel weiter nördlich. Richtung Nicaragua. --- Wo genau nochmal? --- Playa de Matapalo. Hoteleigener Privatstrand. Traumhaft. Unser Miet-Katamaran liegt schon vor Anker. --- POR DIOS!!!!! --- Oh Gott, wie meinst du das, El Diablo? --- Amigo...sieh selbst...

BOOAAAHHH!!!!! Sabrina, schau!!!!! Das Meer sieht schon auf dem Bild ausladend aus!!!!!!!!!!!! BRRRRRR!!!!! Da friere ich ja allein beim Anblick. Ffffhhhhh...ffffhhhhhh... --- Meine Güte, was ist nun wieder los, Oliver? --- Ffffhhhhh...ffffhhhhh...boah...mir ist plötzlich eiskalt, als ob fros-tiger Atem aus meinem Mund kommt...ffffhhhh...ffffhhhh.... --- Oliver! Zieh jetzt bitte nicht wie-der deine Dramanummer ab!!!!! Hast du mich verstanden????? --- Ffffhhhhh...ffffhhhhh... ich brauche dringend einen heißen Tee. Zum Aufwärmen...ffffhhhhh...ffffhhhhh...
Als könne sie Mützelchens Bestellwunsch erraten, sprang da auch schon hurtig wie auf Fin-gerschnipp die zwar noch relativ freundliche, dennoch irgendwie unsypathischer wirkende Flugbegleiterin von der Begrüßung vorhin herbei. Entschuldigen Sie bitte! So geht das nicht! Vier unserer Stammgäste haben den Kapitän holen lassen und damit gedroht, nächstes Mal mit anderen Anbietern fliegen zu wollen; sollte es weiterhin laut zugehen. Das hier ist Busi- ness Class. Bitte, nehmen Sie entsprechend Rücksicht. Ihre spannende Konversation geht si-cherlich auch um einiges leiser. Doucement...pssssssssttttt! Danke!
​
Oha, mit der ist nicht gut Kirschen essen!, flüsterte El Desperado, nachdem die junge Dame endlich wieder fort war, leise. Hier sind noch welche, Oliver.


Du, sag mal, El Diablo...ffffhhhhh...ffffhhhhh...kommt es mir auf beiden Bildern nur so vor... oder ist die Brandung an der Playa de Matapalo anders? --- Erneut perfekt beobachtet, Oliver. Ich merke, du hast den richtigen ozeanologischen Fachblick. Solche Fotos besitzen beinahe Seltenheitswert. Ungelogen. Geschlagene zwei Stunden saß ich beim Fotoshooting wie ange-wurzelt auf dem Ast - bis endlich dieses Exemplar kam. Strömung Humboldtis Extraordinaria drückt weiter oben im Norden dermaßen kalte Wassermassen in den Golfo de Papagayo, dass das Meer sozusagen ins Korsett gepresst wird. Es verliert vor lauter Eiseskälte quasi jegliche Lebenskraft. Hier bestehen keine wesentlichen Unterschiede zum Menschen. Vereinzelt alle paar Stunden auftretende Wogen bedeuten kaum mehr als eine Art letztes verzweifeltes Auf-bäumen vor dem Erstarren. --- Deeeenk dran, Oliver. 1,8°C. Nur Costa Ricas Sonne verhindert Schlimmeres. --- Hör nicht auf sie, Oliver. Zwischen 0,8°C und 1,1°C. Ehe sie drei Kilometer vor der Bucht empor kommt, sagen manche Forscher, überquert Strömung Humboldtis Extra-ordinaria unten auf dem Meeresgrund, wie zuvor vermutlich mehrmals seit ihrem Absinken südlich des Äquators, höchstwahrscheinlich nochmal ein unterseeisches Plateau mit etlichen kalten Quellen, englisch Cold seeps oder Cold vents genannt. Ihr austretendes Wasser muss extrem niedrige Temperaturen besitzen, weshalb der Pazifik selbst ganz im Süden nahe Pa-namas Grenze, seiner wärmsten Stelle, nicht über 3,0°C hinauskommt. Leider ist die Tiefsee bis heute praktisch unerforscht. Umfangreiche wissenschaftiche Expeditionen können hier si-cherlich wertvolle Aufschlüsse liefern. Das Problem: Tiefseeforschung ist enorm kostspielig, stimmt's, Sabrina? Um aber wieder auf Ihr gebuchtets Ziel Playa der Matapalo zurückzukom-men: Nach dieser Welle herrschte erneut Flaute. Höchstens kleine Schaumkronen ab und zu an der Wasserkante. 90 Minuten später gab ich genervt auf und beschloß, tagsdrauf mein Fo-tografenglück an der benachbarten Playe de Coco zu versuchen.

Und kein einziger Badender zu sehen. Wie ausgestorben. --- Ist doch logisch, Oliver. Denk an die Wassertemperatur, weißt doch, da hilft auch kein Neoprenanzug mehr. Du bist soooo blöd, kein Wunder, dass man dir das Zweite Staatsexamen verwehrte. --- Nicht provozieren lassen, Oliver, die Stewardess. Wir müssen uns zusammenreißen. Sonst sind unsere teuren Business Class Plätze futsch. Außerdem gibt es schlimmere Dinge im Leben. Etwa Doktorarbeiten, die sich nachträglich als dreiste Plagiate entuppen. Stimmt's, Sabrina? --- Äh, aber sag mal, El Diablo, wenn wir dann auf dem Katamaran unterwegs sind, und einer von uns dummerweise ins Wasser fällt... --- Oh, mein Gott, nicht auszudenken, Oliver! Denk dran, zwischen 0,8°C und 1,1°C. --- Wiederum sehr scharf kombiniert, Oliver. Ich bin richtig stolz auf dich! Stürze aus Costa Ricas praller Hitze ohne jegliche Vorwarnung direkt ins eiskalte Antarktiswasser enden meistens tödlich. --- Ffffhhhhh...ffffhhhhh...du, warte bitte kurz, El Diablo. Ich will mich unbe-dingt erst in meine warme Sitzplatzdecke kuscheln. Sonst erfiere ich noch. --- Klar. --- Danke, El Diablo. So, jetzt ist es besser. --- Ein Risiko, dessen fatale Folgen die meisten Touristen auf ihren Katamaranen, Booten oder Yachten verkennen. Urlauber sind trotz überall angebrach- ter Warntafeln leider oft leichtsinnig, denken, der Pazifik könne ihnen trotz eindringlicher Hin-weise nichts anhaben. Doch dann...nur einmal unachtsam...und das war's. Jedenfalls verzeiht Strömung Humboldtis Extraordinaria nur selten Fehler. Wie gnädigerweise damals im März 2014. --- Mach mir jetzt bitte keine Angat, El Diablo, ich freu mich doch schon so lange auf un-sere tollen Katamarantouren! Was ist bloß passiert?
Aaaaaahhh, tut das gut!!!!! Der 62%ige aus Aguacaliente. Bekommt man selbst da kaum. Alles für Touristen sowie Business Class und First Class beiseite geschafft. Komm, grad noch ei-nen!!!!! Den habe ich jetzt auch wirkich bitter nötig!!!!! Auch einen, Amigo? --- Nein, danke, El Diablo, ich trinke nicht. --- Sehr löblich. Auf dich, Oliver! Also. Wie gesagt. Am nächsten Tag flog ich zur dank Strömung Humboldtis Extraordinaria um diese Jahreszeit nicht minder ent-völkerten Playa de Coco, wo die Wellenchancen nachmittags um einiges höher liegen. Mit ein bisschen Glück kriegst du dann binnen neunzig Minuten drei vor deine Kamera.

Wahnsinn, da ist niemand! Der Strand ist tot! Jetzt muss ich aber echt dumm fragen, El Diab-lo. Wo sind eigentlich die ganzen Touristen? --- Amüsieren sich bei drittklassiger Poolanima-tion auf Kosten einheimischer Tiere. Meistens Leguane. --- Wie auf Kosten einheimischer Tie-re? Versteh ich nicht. --- Da komme ich gleich drauf zu sprechen , Oliver. Also. Wie gesagt. Es war bereits spät am Nachmittag, und die Sonne stand bereits tief. Der Himmel begann sich allmählich zu bewölken, weshalb Costa Ricas Hitze besonders unerträglich auf der Playa de Coco lastete. Einfach nur drückend. Passend zur gedrückten Stimmung. Mir schwante bereits unterwegs nichts Gutes, weil knapp zwei Kilometer vor dem Strand ein Seenot-Rettungs-hubschrauber eilig über mich hinweg Richtung Liberia flog. Also. Wie gesagt. Welle Nummer 1 war nach nur fünf Minuten im Kasten. Anschließend ging es zu jener Palme da, von welcher ich die nächste zusammen mit schönen Zweigen eines Baumes im Bild festhalten wollte. Das einzige, was ich allerdings nur zu sehen bekam, bestand lediglich aus leichtem Geplätscher, erzeugt durch ein gerade entlang gerastes Patroulllienboot unserer Küstenwache.

Warum das denn, El Diablo? --- Augenblicke später schrie eine Stimme im militärischen Kom-mandoton Anweisungen aufs Meer hinaus. Leider darf ich sie nicht originalgetreu wiederge-ben, ansonsten sitzen wir nämlich gleich eingepfercht beim Fußvolk in der Economy Class. Also. Wenn jene drei ertappten Bootsfahrer nicht unverzüglich wieder den Anker ließen und wie alle anderen brav die Evakuirung abwarteten, werde man sämtliche Insassen sofort fest-nehmen. Danach fuhr es weiter. Obwohl mir die Gründe solcher drastischen Maßnahmenan-kündigungen vollkommen klar waren, flog ich neugierig hin. Und siehe da. Dreißig Minuten da-rauf zeigte sich dort prompt Welle Nummer 2.

Weitere dreißig Minuten verstrichen. Welle Nummer 3 erschien. Ja, da kannst du an der Playa de Coco fast schon deine Uhr nach stellen.

Ich krächze: Hey, bei der unerträglichen Nachmittagshitze wäre jetzt ein Rum on the rocks ir-gendwo drüben im Schatten ideal. --- Der aus Aguacaliente? --- Ne, den gibt's an der Playa de Coco nicht, nur drittklassigen 38%igen aus dem Supermarkt. Aber egal. Also. Ich sitze dann da auf meinem bequemen Ast, als unten vor mir plötzlich ein Leguan im Sand gut getarnt vor-beihuscht. Als sei er panisch auf der Flucht.

Hola, Amigo! Wohin des Weges so schnell?, rufe ich. Ist deine Frau mit dem Nudelholz hinter dir her? Was ist los, Oliver? Ohje...bitte sag jetzt nichts. Er blieb stehen, drehte sich wie ein ge-hetztes Tier keuchend um in meine Richtung.

Amigo, brachte er schnaufend hervor, halt mich bitte bitte nicht auf, ich muss in zehn Minuten im Big Pacific Ocean Blue Star sein. Im Costa Rica Always Sun And Fun wollten die Poolgäste eben gerade zehn Zugaben. --- Die erniedrigende Affennummer als Robin Hood auf dem Seil? --- Ja! Genau die! --- Du Armer! --- Und du? --- Hatte den Gag mit dem Sonnenuntergang. --- Nicht dein Ernst? --- Bin dann aber aus ausgestiegen. --- Danke Gott, dass du den Absprung geschafft hast! Amigo, ich muss jetzt wirklich weiter! --- Ok, will dich nicht aufhalten. Nur eine kurze Frage noch. --- Komm, mach, die schmeißen mich sonst raus! --- Ist wieder einer ins Wasser gefallen? Bereits im Umdrehen begriffen, hielt der Leguan traurig inne.

Irgendein neureicher Australier. Angeblich mehrfacher Lottomillionär. Hat wohl erst vor vier Wochen abgesahnt und dann gleich per Internet eine hier sofort losfahrbereite schicke Yacht gekauft. Befand sich zu nah an der Reeling, meinten Polizeioffiziere. --- Zu viel Champagner, nehme ich an. --- Nein, es war so. Er stand da halt nichtsahnend, als seine Frau von hinten kam und ihm leicht auf die Schulter tippte. Sie wollte laut eigener Aussage eigentlich nur was völlig Harmloses von ihm. Na ja. Jedenfalls verlor der Typ vor lauter Schreck das Gleichge-wicht. --- Tot? --- Iron Man Sportler. Super Kondition. Topp in Form. Kommt durch, sagte der Notarzt, muss aus medizinischer Sicht gleich drei Schutzengel auf einmal gehabt haben, in- nerhalb von 12 Sekunden schaffte er es allein aus dem eisigen Grab. Zwei mehr...Exitus. Die-sen akuten Temperatursturz von aktuell 37,5°C Außen- auf 1,0°C Wassertemperaur hält kein menschlicher Kör... --- AAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHH!!!!!!!!! --- EYYYYY, SAG MAL, OLIVER, SPINNST ODER WAS????? DA WAR NUR EIN KLEINER FUSSEL AN DEINER SCHULTER!!!!! --- PSSSSSSSSTTTTT, SEID IHR BEIDEN VERRÜCKT GEWORDEN????? DENKT AN DIE *HICKS* FLUUUUUUUUUUUGBEGLEUUIITERIN!!!!! --- CHARLES BUKOWSKI!!!!! CHARLES BUKOWSI!!!!! OOOH GOOOOOOTTTT!!!!! ICH NARR!!!!! MEIN EINER PROFESSOR AN DER SORBONNE HATTE RECHT!!!!!!! Erinnerst du dich, Sabrina? --- UND NEEEEEENNNN MICH NICHT SABRINA!!!! ICH HAAAAAAAAASSSSSSEEE DAS!!!!!!!
Wir hielten ihn damals für absolut komplett durchgeknallt. Er berief sich auf Luthers "Allein die Schrift" sowie den Hinduismus. Lehrte, alle textlich überlieferten alten Epen hätten sich einst buchstabengetreu - ohne jede Abweichung - tatsächlich so zugetragen. Geschilderte Er-eignisse unterlägen ferner in ihrer Grundstruktur dem ewigen Reinkarnationskreislauf, wür-den als teils identische teils abweichende Erscheinungen über die Jahrhunderte hinweg wie-dergeboren. Dann fing er jedoch damit an, seine krude Theorie auch anhand neuerer Literatur zu belegen, und die Sorbonne warf ihn hochkant raus. ES PASST AUSNAHMSLOS ZUSAMMEN! Der Zug ist dieses Flugzeug. Der Pazifik an Costa Ricas Küste eine antarktische Wasserhölle. Und durch die Fotos von El Diablo haben wir sie gerade erreicht. Nicht schön! Frau, bitte, ver-steh doch: WE MET A GENIUS ON THE AIRPLANE TODAY!!!!!
​
I met a genius on the train
today
about 6 years old,
he sat beside me
and as the train
ran down along the coast
we came to the ocean
and then he looked at me
and said,
it's not pretty.
​
Was für eine unfreundliche, unsympathisch wirkende Stewardess von der Begrüßung vorhin!, schimpfte Herr Tuki Tukan aufgebracht, nachdem Oliver, Sabrina und er auf der letzten, ex-trem engen, keinerlei Beinfreiheit gewährenden Dreiersitzreihe Platz genommen hatten. Lässt dich nicht mal I Met A Genius zuende rezitieren: it was the first time I'd realized that.
Erzählrunde 5
Santo Domingo. Aeropuerto Internacional de las Américas. Crew- sowie Maschinenwechsel. Während die meisten Passagiere hier ihr Ziel endlich erreicht hatten, voller Urlaubsfreude den Hinweisen Salida/Exit folgend der Pass- und Zollkontrolle entgegeneilten, orientierten sich circa dreißig verbliebene Weiterflieger an der Bezeichnung Transit, um nach erneutem obliga- torischem Sicherheitscheck Boardingate A2 zu erreichen. Wie bereits in Frankfurt allen weit voraus, durchflog El Desperado die nachts kurz vor halb vier völlig verwaisten Gänge, immer noch mit diesem dumpfen, unerträglichen Gefühl im Bauch, man denke insgeheim von ihm, er sei im Auftrag des Reiseveranstalters als tropisch-exotischer, stets zum heiteren Scherzen aufgelegter Bordbespaßer mit unterwegs.
A2 war dank exzellenter, kundenfreundlicher Beschilderungen problemlos bereits von weitem erspäht. Perfekt, dachte sich unser Costa Ricaner sichtlich zufrieden, Santo Domingo hat we-nigstens einen Gatebereich mit großen Fenstern für uns im Angebot, nicht wie dieser unzu-mutbare Bunker B14/B60, grässlich. Es gibt doch nichts schöneres als vor dem Boarding ge-mütlich das geschäftige Treiben auf dem Vorfeld zu beobachten. Vor allem die Flugzeugbferti- gung finde ich jedes Mal mega spannend, weil ja irgendwo im Container auch mein Gepäck ist. Kaum zuende überlegt, entdeckten seine stets neugierigen Äuglein beim rasanten Hineinflat-tern ins Gate auch schon ein urgemütliches Plätzchen ganz da hinten im Eck, welches ideale Blickmöglichkeiten auf jene Maschine bot, welche die sichtlich kleiner gewordene Reiseschar um 04.45 Uhr weiter nach San José bringen sollte. So steuerte Flugkünstler El Diablo zielge-nau einen dieser zahlreichen runden Stehtische direkt am dicken Fensterglas an und begann sofort damit, die Aussicht auf den gerade startklar gemachten Flieger rundum zu genießen.

Supi, das Pushback-Fahrzeug ist ja auch schon da, jublierte El Desperado innerlich, ein gutes Zeichen! Dann jedoch stockten die gedanklichen Genüsse. Etwas irritierte seine jederzeit hell-wachen Hörvorrichtungen. Dumpfes Gemurmel im Hintergund kam näher, zunächst ein unde-finierbarer akustischer Einheitsbrei, aus dem sich alsbald erste deutlich vernehmbare Wort-fetzen herauskristallisierten. Die Nachhut holte auf, wollte nun auch dorthin, wo er bereits war. Der ausgelassenen Lautstärke nach zu beurteilen hatte die lange Atlantiküberquerung trotz Zeitverschiebung der allgemeinen Stimmung offenbar keinen Abbruch getan. Im Gegen-teil. El Diablo kam es so vor, als sei sie im Vergleich zu Gate B14/60 sogar noch fröhlicher ge-worden. Anscheinend liefen die Costa Rica Urlauber erst jetzt während ihres Zwischenstopps so richtig zu touristischer Höchstform auf, sei es aus Freude über nun selbst in der Economy Class winkende großzügige Bewegungsgreiheit, sei es jenes untrügliche Gefühl, dass lediglich knapp zwei Flugstunden vom heißersehnten Traumziel trennten.
Wie unser gefiederter Freund leider sehr rasch sowie darüber hinaus höchst unerfreut fest-stellen musste, sonderte sich aus diesem allgemeinen Stimmengewirr ein kleiner Teil ab und steuerte ausgerechnet jene Ecke an, von der aus seine Blicke gerade das fachgerechte An-koppeln des tonnenschweren Schleppers begutachteten. Mädels, wir gehen mal gucken, was der Flieger so macht. Ihr beibt uns aber dahinten schön brav treu, gell?, tönte hessischer Ak-zent herüber. Hohohohohoho, meint ihr, unsere flotten Damen schaffen das die paar Minuten? Schallendes Gelächter. Eine ältere fidele Herrenriege in Champagnerlaune kam dem runden Stehtisch unaufhaltsam näher. Ei, Manfred, schau, da drüben sitzt ja unser Conferencier! Los, Jungs, den fragen wir gleich, welche Nummern er für den Weiterflug parat hat. --- Hast Recht, Lutz. Kommt, Männer! Affenstarke Leistung die Einlage mit seinen beiden Kollegen als unan-genehm aufgefallene Business Class Passagiere. Vom Käpt'n persönlich unter Protest auf die hinterste Economy Sitzbank verbannt. Hollywood pur! --- Sagt einmal, wo sind die zwei ei-gentlich abgeblieben? --- Ei, ist doch logisch, Josef, die proben bestimmt irgendwo "Handfes-ter Ehekrach". Schallendes Gelächter.
Ist das peinlich!, dachte El Desperado nur. Jetzt bloooß nicht so tun als hätte ich was gehört. Jetzt bloß nicht umdrehen. Schön tapfer weiter aufs Flugzeug schauen. Sich auf keinen Fall in Gespräche verwickeln lassen. Besagter Trick zog tatsächlich. Aber um welchen Preis? Eeiiiii, Hans, geh mal her! Dahinten! --- Wooooo? Seh nix! --- Na daaaaaaa, du ahler Simbel!!!! Unser Pilot ist ein Tiger. --- Oioioioioioioioi, Ooooobacht, Männer, jetzt wirds gefäääährlich! Passt mir nachher drinnen bloß gut auf eure Frauen auf!!! Grrrrrrrrrrrrrrrrrrr, isch bin ein Tiiieescheeer, grrrrrrrrrrrrr!!! --- Mach doch unserem armen Bordmaskottchen keine Angst, sonst vergisst es am Ende nachher noch seinen Auftritt. Auf drei. 3, 2, 1,
Schnaps, das war sein letztes Wort,
dann trugen ihn die Englein fort.
Schnaps, das war sein letztes Wort,
dann trugen ihn die Englein fort.
Mit beiden Flügeln hielt sich El Diablo so fest wie er nur konnte die Gehöröffnungen zu. Weg, weg!!! Ich muss hier weg!!! Diesen Karnevalsschlager ertägt mein Kopf keine Sekunde länger!, rauschte es ihm durch den vom harten Aguacaliente leicht benebelten Schädel, woraufhin er schleunigst das Weite suchte.
Doch wohin um diese Uhrzeit? Der gesamte Transitbereich war vollkommen leergefegt. Keine Bar offen. Kein Duty Free, in dem man sich für Teil 2 des Fluges mit hochprozentigem Proviant hätte eindecken können. Hm, vielleicht beginnen sie in Santo Domingo ja eher mit dem Boar-ding als angegeben, dann könnte ich es mir im Flugzeug schön gemütlich machen.

Hätte ich mir eigentlich denken können!!!!! Fest verschlossene Schiebetüren machten mögli-cherweise vorzeitig borden wollenden Passagieren unmissverständlich klar, dass Santo Do-mingos Flughafenmitarbeiter keinesfalls gewillt waren, anders als ihre Frankfurter Kollegen zu arbeiten. Also. Wohin jetzt? Gerade wollte sich Lieutenant Goldfingerl umdrehen, um nach Alternativen Ausschau zu halten, als ihn seine Aufmerksamkeit erneut auf die blau-weiße Ab-flugtafel lenkte. Irgendetwas stimmte nicht.

Ist das peinlich!, dachte El Desperado nur. Ok, wenn sie in Frankfurt kein Spanisch können, dagegen haaab ich ja nichts. In einer Spanisch sprechenden Ex-Kolonie sollte es sich dagegen trotz Unabhängigkeit mittlerweile irgendwie schon überall herumgesprochen haben, dass es San José heißt! San José! Mit é hinten! Oder machen die das hier absichtlich? Ha, bestimmt kamen Anweisungen von der Tourismusindustrie, um meine Heimat Costa Rica als Urlaubs-ziel unfair herabzusetzen. Dadurch will man zeigen, dass die Dominikanische Republik besser geeignet ist. Frechheit! Sollen lieber zwei, am besten drei hübsche Chicas fürs Boarding an-tanzen!!! Doch hinter der schimmernden Abflugtafel blieb alles dunkel wie die Nacht draußen. Also. Wohin jetzt? Kurzzeitg wurde erwogen, zur munteren älteren Herrenriege zurückzukeh-ren. Was umgehend wieder verworfen wurde. Jene sechs lustigen Hessen hatten nämlich ih-ren Frohsinn inzwischen unter den gesamten Weiterfliegern quasi im Schnelltempo verbrei-tet. Zum Dirigententeam geworden gaben sie den Takt zu einem alten Paul Kuhn Schlager vor, welchem der A2-Chor, eingehakt wie auf Karnevalssitzungen schunkelnd, inbrünstig folgte:
​
Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier.
Drum fahr ich nicht nach Hawaii, drum bleib ich hier.
Es ist so heiß auf Hawaii, kein kühler Fleck,
und nur vom Hula-Hula geht der Durst nicht weg.
​
Jetzt teste ich einfach mal diesen hell erleuchteten Gang, beschloss daraufhin Lateinamerikas trinkfestester Tukan angesichts weiterhin akuter Gehirnvibirierungen, dort hat bestimmt et-was geöffnet.
Just gestartet, potentiell schluckabarem Hochprozentigem schwungvoll entgegen, entschloss sich unser Pilot kurz vor den grellen Weganzeigern jedoch zur dringenden Notlandung.

Ist das peinlich!, dachte El Desperado nur. Von der linken oder rechten Gangecke hinten, so ganz genau ließ sich das von hier nicht lokalisieren, lärmten ihm zwei bekannte Stimmen ent-gegen. BITTE, SABRINA, SEI DOCH VERNÜNFTIG!!! DU KANNST MICH DOCH NICHT HIER ALLEI- NE ZURÜCKLASSEN!!! WAS WIRD DENN DANN AUS UNSEREN FLITTERWOCHEN??? --- OH, UND OB ICH DAS KANN, OLIVER!!! SIEH ZU, WIE DU IN COSTA RICA SELBER FLITTERST!!! UND ICH SAG DIR NUR EINS, OLIVER: MIT MIR NICHT!!! MIT MIIIIIIR NICHT!!! --- SABRINA, BIIITTE, BIIITTE BLEIB, ICH LIIIIIIEEEBE DICH DOCH!!! --- MEHR HAST DU MIR NICHT ZU SAGEN??? SELBST MIT DICKSTEN TOMATEN AUF DEN AUGEN SIEHT MAN DOCH GLEICH, WAS DAS FÜR EIN ZWIELICHTIGER VOGEL IST!!!!! --- ABER SAB... --- HÖR GUT ZU, OLIVER!!!!! I C H BIN PROMOVIERTE OZEANOLOGIN. ANSTATT MICH ALS DEINE FRAU ZÄRTLICH ZU KÜSSEN, LÄSST DU DICH LIEBER VON SO EINEM VOLLQUATSCHEN. DER HAT SIE DOCH NICHT MEHR ALLE!!!!!! IN MEINEM GANZEN LEBEN BIN ICH NOCH NIIIIIIIIIEEEEEEEE VON EINEM MANN SOOOOOOOOO GEDEMÜTIGT WORDEN!!! UND DAS, OLIVER, DAAAAAAAAAS VERZEIH ICH DIR NIEMALS!!! DU UNMENSCH!!!!! --- SABRI... --- HAST DU EIGENTLICH SCHON GESCHAUT, OB DEIN PORTE- MONNAIE NOCH DA IST? --- ALSO JETZT MACH MAL EINEN PUNKT, JETZT HÖR ABER AUF!!! --- EINER KOLLEGIN HABEN SOLCHE TYPEN AN DER COPACABANA IHRE GELDBÖRSE UN-TERM HANDTUCH WEGGEKLAUT. OBWOHL SIE DRAUFSASS. NICHTS GEMERKT. NUR SO ALS INFO. --- SABRIIIIIIIINNNNAAAAAA, BIIIIIITTEE VERLAAAASS MICH NICHT!!!!! --- NUN GUT, OLI-VER. AUSNAHMSWEISE. ABER NUR WENN DU DICH MIR ZU FÜSSEN WIRFST!!!!!
Sehr gut, Oliver, jetzt kannst ihr endlich zeigen, dass du der Herr im Haus bist!, feuerte Macho Tucano Sabrinas Ehemann geistig an. Sei cool, dreh dich auf dem Absatz um, lass sie stehen und flieg alleine weiter. In Costa Rica finsdet du genug heiße Chicas, die gerne nach Europa möchten. Und soooo toll sieht deine nun auch nicht aus. --- AUF DIE KNIE OLIVER!!! --- Schö-nen Urlaub auf der Dom Rep, Sabrina! --- SIIIIIIIIIIIEEEHHHSTE! GEHT DOCH!
Oh nein, er ist eingeknickt. Aber dafür weiß ich jetzt wenigstens, wem dieser achtlos liegenge-lassene Transitschein gehört, hatte mich schon gewundert.

Mit dieser Erkenntnis also flog El Diablo von Santo Domingo weiter nach San José, ohne je-mals herausgefunden zu haben, ob er, dem hell erleuchteten Gang folgend, in einer Bar oder einem Duty Free Shop vielleicht doch noch an köstlichen Rum gekommen wäre.
Fotogeschichtliche Kontrapunktserie Nr. 2