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 G a l e r i e r a u m  6
~ Theoretischer Teil - b ~
Prädestination (Vorherbestimmung)

Die wichtige Feststellung, dass Kontrapunkte sowohl Retro- als auch Prospektiven sein können, führte un-sere Künstlerin bald zur Postulierung einer jedem Foto immanten Seele, egal wie und aus welchem Anlass heraus es entstand. Mit Seele sind tiefere Be-stimmungen fotografischer Situationen gemeint, wel-che sich im Entstehungsmoment als unwiderrufliche Wesenseigenschaften von Bildern ausdrücken, so-gar dann, wenn wir deren wahren Bedeutungsge- halt zum konkreten Aufnahmezeitpunkt nicht erken-nen, was meistens der Fall ist. Unser traditionelles, herkömmliches Verständnis vom Wert entstandener Fotografien denkt hier überwiegend immer noch im Qualitätsraster "etwas geworden" versus "nichts ge-worden".

Wie in ihrem ehemaligen Blog ausführlich geschil-dert, wäre Alessa Marie beispielsweise 2012 in Osaka niemals auf die Idee gekommen, jene am Cosmosquare geknipsten Schnappschüsse könnten 2017 Teile einer Fotogeschichte sein. Gleiches gilt für den losfahrenden U-Bahnzug in der Station Tem-mabashi: Ursprünglich für Metrofans aufgenommen, welche kaum jemals selbst Japan bereisen werden, fungiert er hier sogar als Zentralbild, ein Begriff, der uns im nächsten Galerieraum näher beschäfti- gen wird.

Auch für uns Karussellpferde lässt sich Teil 1 der Probleminnovationslösungen ohne solche fotophilo-sophischen Annahmen kaum erklären. Spontan aus dem Moment heraus festgehaltene Erinnerungen fü-gen sich fünf Jahre später, Mosaiksteinen gleich, quasi "ganz von selbst" zu einer Fotogeschichte zu-sammen; obwohl Gedanken an eine eigene Web-seite 2012 nicht mal ansatzweise vorhanden wa-ren. Und als Blogrecherchen dann auch noch völlig unerwartet Informationen zu Tage förderten, wel-che den recht kuriosen Erzählinhalt von Betriebsan-weisung Nr. 46 nachträglich mit lokaler Mentalität sowie im Kansaigebiet beheimateter Komödianten-kunst in Verbindung bringen konnten, fiele es allen Karussellbewohnern wohl mehr als schwer zu ver-neinen, dass jedem einzelnen Motiv bereits 2012 am Cosmosquare beziehungsweise in Temmabashi sein späterer Sinnzweck eindeutig vorgegeben war. Alessa Marie nennt dieses spezifische Phänomen Vorherbestimmung eines Fotos.

Vorherbestimmung steht hierbei begrifflich in engs-tem Zusammenhang mit Johannes Calvins theologi-scher Lehre von der Prädestination, welche im refor-mierten Bereich eine zentrale Glaubensformel dar-stellt. 

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Kritiker wenden jetzt vielleicht ein, zumindest bei der Retrospektive trügen sicherlich primär günstige Zufälle zum glücklichen Gelingen bei, Frau Fortuna schenke halt solchen vergangenheitsbasierten Kon-zepten ihre in besondere Gunst. Ok, dem könnten wir Karussellpferde in der Tat zustimmen...gäbe es da nicht auch genügend Belege, die auf außerge-wöhnliche Prädestinationen prospektivischer Motive hinweisen. Etwa Motive, deren Aufnahmen vor Ort nicht SO umsetzbar sind wie vom Ursprungsplan eigentlich vorgesehen.

Anders ausgedrückt: Bei allen Fototouren spielt stets fotografische Unwägbarkeit eine ausschlaggeben- de Rolle. Oft trägt deren Bandbreite beinahe schon beängstigende Züge. Selbst an absolut "sicher" ge-glaubten Plätzen weiß man letzen Endes nie, was einen dort wirklich erwartet. Interessant ist dabei je-doch folgende, immer wiederkehrende Feststellung: Ausgerechnet unbeabsichtigte Abweichungen füllen Erzählinhalte oft mit mehr Leben als zunächst vermu-tet. Manchmal liefern überhaupt erst sie DIE Inspira-tion. Eingebung und Misslingen korrelieren offen-sichtlich recht gut. Nicht selten beweisen solche Fehlfotos im Vergleich zu früheren Aufnahmen am selben Ort (was in der Praxis häufiger vorkommt) sogar, dass einst mühelose Ideenumsetzungen auf-grund zwischenzeitlich überraschenderweise einge-tretener Veränderungen momentan oder gar dauer-haft unmöglich wären.

Aufgrund bisheriger Erfahrung vertritt Alessa Marie deshalb den Standpunkt, dass prospektivische Fehl-schläge entgegen erster Vermutung wesentlich häufi-ger auftreten, weshalb anvisierte Ziele dann nur mit viel Glück oder dank geschickter Improvisation rea-lisierbar sind. Während sich hingegen retrospektivi- sche Pendants durch Textanpassung an ihre jeweili- ge Aussagekraft wesentlich flexibler in existierende Pläne einbauen lassen.

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Wie oben erwähnt ist das Spektrum möglicher pro-spektivischer Fehlfotos breit gefächert, und es gibt quasi kaum Fototouren, auf denen nicht neue Über-raschungen hinzukommen. Daher wollen wir unsere Ausführungen auf speziell jene Varianten konzen-trieren, welche sich als besonders symptomatisch herauskristallisiert haben.

Unbestrittene Klassiker sind hierbei jene vollständig misslungenen Fotos, die jeder Fotograf aus eigener leidvoller Erfahrung nur all zu gut kennt. Man sieht auf dem Display die "fürchterlichen" Resultate, und das geschulte Auge entscheidet sich ohne langes Zögern für "Löschen". Entsprechend heißen sie bei Alessa Marie Löschfotos, sagt doch unsere Erfah-rung eindeutig: Solche Aufnahmen werden selbst mit besten Bearbeitungsprogrammen nicht zu retten sein. Aus fotografischer Sicht betrachtet eine klare Entscheidung. Mit ihr tun wir diesen armen Bildern aber großes Unrecht an. Es ist nämlich oft echt un-glaublich, was für ein Potential in verrauschten Mo-tiv steckt. Die Kunst besteht lediglich darin, dessen wahren Kern aus seinem verschwommenen Umfeld freizulegen.

In Die Karussellpsychose verwendet unsere Künstle-rin zweimal solche Löschkandiaten. Betrachten wir dazu zunächst Motiv 1 der Eremitage im Staats-park Wilhelmsbad. Aufrund ihrer versteckten Lage sind dort Aufnahmen ohne Blitzlicht allgemein recht schwierig. Da Alessa Marie aus Gründen des foto-grafischen Realismus grundsätzlich ohne Blitz arbei-tet, braucht es logischerweise vor der Einsiedelei bis zum gewünschten Erfolg stets etwas Geduld, und dabei gehören mehr oder wenig verschwom-mene Exemplare zum Geschäft nun mal dazu. Trotz Unschärfe ist dessen Wert jedoch alles andere als sinnlos. Motiv 1 repräsentiert nämlich exakt jenes anfangs nur undeutlich auftauchende Traumbild.  

Dieselbe Festellung gilt für für unsere Makroaufnah-me der mexikanischen Goldmünze Dos Pesos für Teil 1 von Das Blutgold vom El Lago. Erst jenes "voll daneben gegangene" Foto lieferte DIE Idee mit ih-rer so fluchbeladenen, zeitweilige Kurzsichtigkeit er-zeugenden Wirkung.

Kommen wir noch mal auf Die Karussellpsychose zu sprechen. Unter "ganz normalen" Rahmenbedin-gungen ebenfalls der Löschtaste zum Opfer gefallen wäre hundertprozentig auch das absolut misslun-gene Motiv des vorbeidonnernden Güterzuges im letzten Teil. Im Grunde genommen verdankt es seine Entstehung einer Reflexhandlung. Ausgerechnet in dem Augenblick als Alessa Marie bereits getätigte Aufnahmen überprüfte, näherte sich deutlich hörbar endlich ein für die Geschichte so lange ersehnter Güterzug mit hohem Tempo. Allerdings nicht wie spekuliert aus Richtung Hanau Hauptbahnhof, son-dern von Maintal her, was bei hoher Geschwin-digkeit wortwörtlich rasend schnell geht, da die Strecke vom Standort schlecht einsehbar ist. Ausge-rechnet da! Hektisch machte unsere Künsterlin ihre Kamera startklar. Zu spät! Binnen Sekundenbruchtei-len tauchte die Lokomotive auf, sodass Alessa Ma-ries Panasonic genau dieses verrauschte, miserabel fixierte, dazu noch seitlich abgeschnittene Foto fest-hielt. Ein Unding!, würde jeder bei dessen Betrach-tung denken. Doch im konkreten Beispiel entpuppte n sich all das als echte Gabe Fortunas. Urteilen Sie selbst, liebe Seitenbesucher: Wie könnte ein Foto besser durch heftige tektonische Erdstöße erzeugte Vibrationen, schlingernde Waggons (der erste Wa-gen nach der Lok!) oder Bewegungen metallischer Gegenstände suggerieren?

Allerdings kommen solche unbeabsichtigten Glücks-fälle eher selten vor. Wesentlich häufiger sind jene Fehlfotos, welche teilweise misslingen. Auch das Phänomen kennen Fotografen zur Genüge: Eigent-lich wirken die geschossenen Motive super. Eigent-lich! Denn aus irgendwelchen Ursachen tauchen bei genauerem Hinsehen dann leider doch recht unbe-friedigende Stellen auf. Kurzum: Das Resultat ent-spricht vom Anspruch nicht ganz den Erwartungen. Hinsichtlich der Frage nach deren Verwendbarkeit zählen solche Fotos für Alessa Marie zur Klasse qualitativ "grenzwertiger" Wackelkandidaten: Es liegt allein im künstlerischen Ermessen, ob sie an-spruchskonform ihren Weg in eine fotogeschichtli- che Kontrapunktserien finden. 

Wie schwierig derartige Entscheidungen sein kön-nen, demonstriert Motiv 2 der Einsiedelei. Kurz vor-weg: Es soll jetzt im Galerieraum wirklich auf kei-nen Fall um Pedanterie gehen. Alessa Maries rein subjektive Empfindung meint lediglich, dessen mit Faktor 40 (und das ist jetzt keine mariginale Größe mehr) geschärfte Wiedergabe könnte durchaus prä-ziser wirken. Aber das ist wie gesagt subjektiv. Viel-leicht denken Sie, liebe Seitenbesucher, darüber ja genau anders, und finden die Eremitage perfekt ge-lungen.

Versuchen wir daher eine kleine Einschätzung der aufgrund ihrer Abgelegenheit von den meisten Park-besuchern übrigens leider übersehenen Sehenswür-digkeit. Aufgrund jener oben erwähnten Lichtproble-matik vor Ort erreichen deren Konturen insgesamt keine optimale Schärfe, vor allem die Fassadenstei- ne würde unsere Künstlerin gerne einen Tick gesto-chener sehen. Andererseits: Wirklich schlecht ge-worden ist das Foto auf keinen Fall. Eine Zwick-mühle! Und bis heute kann sich Alessa Marie zu keiner endgültigen Einordnung durchringen. Wes-halb sie dieses Dilemma im Text quasi als Frage an den Betrachter weitergibt: Hmmm...oder vielleicht doch?

Im Zuge der per Update vom 10. Dezember 2018 angekündigten Rückkehr vom bisherigen Collagen- konzept zum früheren Einzelbildersystem der Fotose-rien zunächst "definitiv" aussortiert, entschied sich Alessa Marie schließlich zur Beibehaltung als Sze-nerie 2 innerhalb des zweiten Traumbildes, welches somit um zusätzliche Detail bereichert wurde. Er-neut ein Indiz dafür, dass einer Aufnahme ihr Platz vorherbestimmt war, sie hierfür sogar eine Aussor-tierungskrise überwand. 

Wenden wir uns nun endlich jener bereits mehrfach angekündigten Motivgruppe zu, die naheliegender-weise Überschussbilder Kategorie 2 (oder Sekun- därbilder) heißt.

Erfahrungsgemäß entstehen während jeder Fototour weitaus mehr Aufnahmen als später tatsächlich Ver-wendung finden können. Im Grunde genommen handelt es sich bei diesen (abgesehen von der ers-ten Kategorie grundsätzlich entbehrlicher Motive) um Ersatzmotive für den zwar eher unwahrscheinli-chen, theoretisch dennoch möglichen Fall, dass vor-gesehene Planaufnahmen sich als nicht realisierbar erweisen, sei es überwiegend, sei es vollständig.

Besondere Relevanz erhält jene auf etwaige Impro-visationen angelegte Vorgehensweise bei prospekti-vischen Fototouren, welche längere Anfahrten erfor-derlich machen. Wie wir Karussellpferde oben be-tonten, liegen Fototermine selten gemütlich um die Ecke.

Traumbild 1 in Die Karussellpsychose ist solch ein erst sekundär erfolgter Einbau. Aufgrund der durch den Kunststoffschutz hervorgerufenen Spiegeleffekte zuerst Ergebnis zweiter Wahl, bewirkten witziger-weise exakt jene Reflektionen spätere Rückbesin- nungen auf seinen Wert als wirklichkeitsgetreue Ab-bildung auf der Couch geschilderter Erlebnisse.

Einen ähnlich interessanten Werdegang weist das an vorletzter Stelle platzierte Bild auf, jener aus Richtung Hanau Hauptbahnhof herannahende ICE. Er wurde deshalb als Primärmotiv verworfen, weil diese Standortposition aufgrund gegebener Lichtver-rhältnisse kaum annähernd solche Colorationen zu-lässt, wie wir sie von den übrigen Zugaufnahmen kennen.

Auch hier erkannte Alessa Marie erst viel später bei ihrer Abkehr vom Collagenkonzept das im Gebäu-degerüst sowie in herumliegenden Schrankenteilen steckende Potential hinsichtlich des Beweises laten-ter regionaler Erdbebengefahren.

Begeben wir uns abschließend zu jener für Alessa Maries persönlichen Geschmack wegen der mit ih-nen oftmals verbundenen abenteuerlichsten Entste- hungshintergründe wohl spannendsten Sorte Fehlfo- tos. Vielleicht kommt Ihnen das aus eigener fotogra-fischer Erfahrung ebenfalls bekannt vor: Sie gehen mit klaren Zielsetzungen auf Fototour. Infolge uner-wartet eintretender Situationen gelangen jedoch zu- sätzlich "wie aus heiterem Himmel" ganz andere Aufnahmen in Ihre SD-Karte als ursprünglich vorge-sehen. Doch genau diese entpuppen sich rasch das Beste, was Ihnen überhaupt passieren konnte. Und weil dabei jedes Mal unwägbare Glückskonstella-tionen DIE zentrale Rolle spielen, nennt Alessa Ma-rie sie liebevoll Jokerfotos, weil eben ihre Entehung ohne Fortunas Rad SO niemals zustande gekommen wäre.

Ein Beispiel aus Das große Nachspiel zum Projekt- ausflug (Aus den gedanklichen Memoiren der Grä-fin von Hanau). Häufig liegen zum erfolgreichen Betätigen des Auslösers extrem enge Zeitfenster vor. De facto entscheidet ein einziger Klick über Topp oder Flopp der Aufnahme. Ihr Gelingen hängt tat-sächlich von nur einer alles entscheidenden Glücks-chance ab. Es gibt keine zweite. So wie etwa bei jener Gondel der Predigtstuhlbahn.

Diejenigen fotografisch ambitionierten Seitenbesu-cher unter Ihnen, welche schon selbst mit Bad Rei-chenhalls historischer Kabinenbahn gefahren sind, bestätigen sicherlich: Momente wie diese räumen keinerlei Wiederholungsspielraum ein.

Die schwierige Kamerafixierung aus einer kleinen Fensteröffnung heraus unter dichtgedrängten(!) Ver-hältnissen sowie das aufgrund zweier unterschied-lich verlaufender Seilwege bei relativ hohem Tempo kaum minder problematische Abschätzen der Ge-gengondel ergeben hier ganz eigene situative Be-dingungen. Anders als am Wilhelmsbader Bahn-übergang, wo man einfach auf die nächste Gele-genheit wartet, ist hier mit dem einen Klick sprich-wörtlich der Zug endültig abgefahren.

Chancen kommen hier in der Tat keine mehr, da jeweils nur zwei Seilbahnen unterwegs sein kön-nen. Ferner zeigt uns Alessa Maries Bild die letzte planmäßige Tagesbergfahrt. Ein Joker im wahrsten Sinne des Wortes, entstanden dank einer wahrhaft spontanen, geistesgegenwärtigen Reaktion.

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Weitere Zunftvertreter sind Motive wie folgende An-sicht des wolkenverhangenen El Arenal aus Die Ka-russellpsychose. Bekanntlich jagte Heiner der Hitz-kopf regelmäßig seine Söldnertruppe die nebligen Hänge hinauf. Von Alessa Marie werden solche Bil-der unter der Rubrik Enttäuschungen gelistet. Pro-zentual bilden diese den Löwenanteil an Fehlfotos. So kann es geschehen im harten Fotografenleben. Voller Vorfreude geht (oder fährt) man optimistisch los, die schönsten Bilder euphorisch fest vor Augen. Doch vor Ort kommt es zum jähen Gefühlsabsturz: ein völlig anderer Anblick als erwartet - aber nicht im positiven Sinn!

Und auch unsere Künstlerin erstarrte 2014 in Costa Ricas Parque Nacional Volcán Arenal, als sich der Vulkan weigerte, ausgerechnet an dem Tag seine ganzen Geheimnisse preiszugeben. Metereologisch ein ganz normales Phänomen. Aus Touristensicht ei-ne herbe Enttäuschung. Alessa Marie hat uns Karus-sellpferden oft erzählt, dass sie eigentlich nur des-wegen den Kamerauslöser betätigte, um überhaupt etwas zu haben. Tragik pur.

Doch dann gelang dem El Arenal infolge Alessa Maries Abkehr vom starren Collagensystem nach jahrelanger Verbannung ein triumphaler Einzug in die erste fotogeschichtliche Kontrapunktserie. In ihre "Liste meiner schönen Urlaubsfotos" hat er es trotz alledem bis heute nicht geschafft. .

Eine äußerst amüsante Anekdote verbindet sich da-gegen mit der Entstehungsgeschichte des Bilderma-terials für Folge 1 von Auf einer großen Busrundrei-se.... An einer Stelle wird dort ja beschrieben, wie mehrere sensationsgierige Touristen bereits während der Türenöffnung hastig aus dem Reisebus stürzen und samt Equipment zum nahen Aussichtspunkt ren-nen.

Besagte Stelle gibt es im Mühlheimer Naherholungs-gebiet tatsächlich. Ursprünglich sollte deshalb von diesem höher gelegenen Punkt aus mindestens ein Motiv mit der Canyonbrücke festgehalten werden. Voller Tatendrang am Ziel angekommen stellte sich jedoch bald heraus: Hahaha...jener Ort war komp-lett zugewachsen!

Echt eine tolle Aussicht! Zweifellos hing die Ursache für derart unerwartete Überraschungen mit den of-fenkundig seit Jahren längst überholten Abbildun-gen und Karten zusammen, welche unserer Künstle-rin als Vorlagen für ihren Plot gedient hatten.

Was tun?, sprach Zeus. Schließlich drohte mit dem Augenblick der Erkenntnis zugleich ein Handlungs-gerüst einzustürzen. Lag doch der Dreh- und Angel-punkt des Geschehens genau auf jenem Aussichts-punkt, der längst keiner mehr war. Hier oben sollte ursprünglich das Drama um Arizonas weltberühm-ten Grand Canyon seinen Lauf nehmen.

Improvisation!, lautete das Zauberwort. Um die Situ-ation zu retten, entschied sich Alessa Marie spontan für Alternativstandorte. Besonders günstig erschien ein kleineres, schwer zugängliches Uferstück, wel-ches von der Brücke gut zu sehen ist. Nach teilwei-se abenteuerlichen Klettereien auf einem Trampel-pfad, immer tapfer dem Oberwaldsee entgegen, er-reichte sie schließlich besagte Stelle, und fotogra-fisch absolut unerwartet entstand dieses phantasti-sche Gesamtpanorama mit dem "Durchbruch" des Colorado River in die bald schon "überlaufende" gigantische Schlucht:

Fotos, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte (oder einfach nur Phantomfotos) lautet daher Ales-sa Maries Titulierung jener Aufnahmen, bei denen aufgrund wirklich unvorhersehbarer Gegegebenhei- ten spontane Reaktionen die Grundlagen fotografi- scher Tätigkeit sind. 

Erfahrungen zeigen zudem, dass Phantombilder in 99% der Fälle die erstrebte Wirkung urprünglicher Planfotos bei weitem übertreffen, ja, sie darüber hi-naus oft auch Initialzündungen für zusätzliche, im Plot so nie vorgesehene Handlungsabläufe liefern. Unser obiges Motiv vereint alle zentralen Erzählin-halte in einer optisch perfekten Harmonie, wie sie vom (wenn es ihn denn gegeben hätte) offenen Aus-sichtspunkt aus niemals adäquat hätte erreicht wer-den können. Alessa Marie konnte es auf mehreren Rundgängen überprüfen: Im gesamten Naherho-lungsgebiet findet man kein anderes Plätzchen, wo Wasserfäche, Canyon sowie die von Danny Brown angepriesene technische Glanzleistung US-amerika-nischer Ingenieurskunst eine solch imposante Sym-biose eingehen.

Als die eigentlichen Tagesgewinner entpuppten sich im Frühjahr 2016 jedoch zwei stolze Hochspan-nungsmasten unmittelbar des zugewachsenen Aus-blickes. Bereits dort von deren grandioser Wirkung beeindruckt, entschloss sich Alessa Marie während ihrer Aufnahmen am Ufer ad hoc, nach Beendigung nochmal zum funktionsuntüchtigen Panoramaort zu-rückzukehren. Wie aus heiterem Himmel waren ihr nämlich soeben Gedanken gekommen, beide Stahl-konstruktionen ins Geschehen einzubauen. Eine ty-pische, durch Phantomfotos ausgelöste Initialzün-dung.

Somit ermöglichten wiederum glückliche Umstände, dass Reiseleiter Danny Brown seinen Touristengrup-pen nicht nur atemberaubende Brückenarchitektur sondern auch Wunderwerke im Stromsektor verkau-fen kann. Ohne das herrliche Rundblicke gemein versperrende Buschwerk wäre Amerikas Supertrasse niemals zum Inhalt geworden. Sie sehen erneut: Prospektivische Planungen unterliegen letzten Endes immer wieder der Möglichkeit sich schlagartig ent-wickelnder Eigendynamiken. Wieder ein Beleg für Alessa Maries Ansatz, Fotos als Resultate bildlicher Vorherbestimmung zu betrachten.

Mit klarem, deutlichem Abstand am interessantesten (und nicht zuletzt auch spannendsten) sind für uns Karussellpferde aber Alessa Maries Paradoxa. Und diese Art Fehlfotos klingt wirklich paradox: Es sind Aufnahmen, welche zwar vor Ort plan- oder außer-planmäßig mühelos umgesetzt werden, dies jedoch keineswegs auf Selbstverständlichkeit beruht. Die betreffenden Motive geben sich eigentlich nur aus "Kulanz" her. Will heißen: Sie hätten ebenso gut nicht entstehen können. Doch keine Angst, liebe Sei-tenbesucher, so widersprüchlich, wie es sich zuerst anhört, ist es in keinster Weise.

Drei Jahre nach den Aufnahmen zu Der Projektaus- flug (sie stammen übrigens tatsächlich von einem im September 2015 nach Seligenstadt unternommenen Ausflug der berüchtigten Klasse 8c) fuhr Alessa Ma-rie gemeinsam mit ihrer allerbesten Freundin Caislin erneut per Rad in die altehrwürdige Einhardstadt, um Material für etwaige Ergänzungen/Fortsetzun-gen zu sammeln. Mehrere Chatteilnehmer hatten nämlich die Frage geäußert, ob zur vollständigen Handlungsabrundung irgendwann eventuell auch Berichte sowohl über An- als auch Rückfahrt mög-lich seien.

Als die beiden Oberstufenschülerinnen jedoch im Oktober 2018 ein zweites Mal durch Seligenstadts Klostergarten spazierten fiel ihnen sofort auf, dass an diesem Tag die kleine Wasserfontäne außer Be-trieb war. Derselbe Park, derselbe Springbrunnen, dasselbe herrliche Herbstwetter. Allerdings mit ei-nem entscheidenden Unterschied: Ohne jenes 2015 plätschernde Nass wäre Alessa Maries Beschrei- bung, wie drei soeben im Test erbärmlich geschei- terte Genies von der fürsorglichen Klassenspreche- rin zu einer kühlen Stelle geleitet und dort mit er-frischendem Springbrunnenwasser vollgespritzt wer-den, nicht realisierbar gewesen. Der paradoxe Wi-derspruch: Die an für sich problemlos zu fotografie-rende sprudelnde Fontäne hätte es bei einer 2018 durchgeführten Exkursion als Motiv überhaupt nicht gegeben. Wie gnädig also von ihr. Das muss man sich erst einmal richtig bewusst machen!

Springbrunnen im ehemaligen Klostergarten von Seligenstadt, 10. September 2015.

Springbrunnen im Klostergarten von Seligenstadt, 10. Oktober 2018.

Vernachlässigenswerte Lappalie!, sagen jetzt einige unserer Seitenbesucher vielleicht und wenden zur Begründung ein, solche geringfügigen Nuancen sei-en bezogen auf den Gesamtverlauf unbedeutend, fielen demnach nicht weiter ins Gewicht. Dem Ver-gleich fehle ein gewisses Maß an Überzeugungs-kraft.

Wir Karussellpferde vertreten dazu jedoch die An-sicht, dass selbst minimale Kleinigkeiten deutliche Indizien für Alesssa Maries Vorherbestimmungsthe- orie sind. Das Foto mit der schön vor sich hinplät- schernden Fontäne sollte im September 2015 eben entstehen! Genauso verhält es sich bei den Aufnah-men von der Jennerbahn sowie dem schneebedeck-ten Gipfelpanorama. In der am 31. August 2020 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlten Fernsehdo-kumentation Rund um den Königssee erfuhr unsere Künstlerin rein zufällig, dass die Bergbahn derzeit saniert wird, der Jenner daher nur zu Fuß erreich-bar ist. Ob die Klasse 8c im Herbst 2014 unter denselben Bedingungen wohl hinaufgewandert wä-re? Vermutlich kaum. Folglich summieren sich jetzt schon zwei "Belanglosigkeiten" innerhalb einer fo-tografischen Kontrapunktserie.

Um eine mehr als bloß amüsante Randskizze han-delt es sich dagegen beim Kanzelmotiv für den fünf-ten Teil von Das goße Nachspiel zum Projektausflug (Aus den gedanklichen Memoiren der Gräfin von Hanau), aufgenommen im Sommer 2017 während Alessa Maries Fototour Nummer 2 nach Gelnhau-sen. Vom Urpsrungsgedanken her sollte nämlich in diesem Jahr dort nach dem großen Beifall hervorru- fenden Hiob-Zitat ihre Wiederholungsprüfung statt-finden, was erst Anfang 2020 endgültig verworfen wurde. Aus diesem Grund bestehen die Gesamter- innerungen der früheren Frau Kaiser eigentlich aus zwei eigenständigen Materialsammlungen. 

Natürlich hatte sich Gelnhausens Marienkirche zwi-schenzeitlich nicht "klammheimlich" aus dem Staub gemacht. Im Gegenteil. Um Alessa Maries Wieder-sehensfreude perfekt zu machen, wartete sie sogar mit einer originellen Willkommensüberraschung auf: Das Hauptportal war fest verschlossen. Schock!!! Zwei sehr freundliche Gemeindemitglieder erklär-ten, in der Kirche fänden zur Zeit Innenrenovierun-gen statt, sie könne aber nichtsdestotrotz über den Südeingang zum Besichtigen betreten werden.

Nachdem Alessa Marie und ihre Mutter unter einem gewaltigen, fast das halbe Langschiff einnehmen-den Gerüstbau hindurch ins Gotteshaus gelangten, stellten beide fest, dass dadurch, anders als im Vor-jahr, an eine weiträumige Innenaufnahme mit Chor-blick nicht zu denken war. Die Wiederholungsprü- fung drohte auszufallen! 

Wie konnte man nun solch eine höchst verzwickte, völlig unerwartete Situation retten? Ganz einfach, dachte sich eine nach ihren Frühjahrserfahrungen in den Dietesheimer Steinbrüchen mittlerweile abge-brühte Künstlerin, indem ich halt Einzelmotive foto-grafiere, die werden die sich dann schon irgendwie einbauen lassen!, und eilte flink ans Werk.

Auf diese Weise entstand etwa das in Teil 5 zu se-hende Bild mit der Kanzel. Paradox deshalb, weil es zur Umsetzung jetzt wirklich keiner großen Kunst bedurfte, seine Betrachtungsmöglichkeit für Sie, lie-be Seitenbesucher, dennoch alles andere als selbst-verständlich ist. Das hinderliche Baugerüst machte den Verkündigungsort erst als "Behelfslösung" mög-lich. Quasi aus Kundenfreundlichkeit.

Für Alessa Maries "Zweite Chance" eigentlich über-flüssig, weil die alle  Prüflinge ja in einer Reihe vor dem Lettner stehen, entfaltete das Paradoxon nach der Umarbeitung von Paula Gerhardt (oder Das große Nachpsiel zum Projektausflug) zur fotoge-schichtlichen Kontrapunktserie seine volle Wirkung. Erst die Kirchenbank (wie Sie sehen können, liebe Seitenbesucher wurden während der Renovierungs-arbeiten aus Platzgründen einige von ihnen zusam-mengeschoben) erinnerte unsere Künstlerin irgend- wie spontan an jene Meditationshaltung des Heili-gen Franziskus von Francisco Zurbarán, ein Gemäl-de, das ihre Mutter als Schülerin übrigens tatsäch-lich im Leistungskurs Kunst durchgenommen hatte. Der "seltsame Vikar" war geboren.

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Es kommt aber noch besser. Vielleicht ist dem einen oder anderen von Ihnen, liebe Seitenbesucher ein Stückchen rechts neben der Kanzel der kleine punkt-förmige Lichtreflex aufgefallen. Wir Karussellpferde geben schmunzelnd zu: Richtig wahrgenommen hat ihn Alessa Marie erst beim Schreiben dieser Zeilen am 02. September 2020. Was uns erstaunt.

Könnte er, so unsere wagemutige Hypothese gera-de, nicht exakt jenen Büßerplatz bezeichnen wol-len, von dem aus Frau Kaiser 2016 das Prüfungsge-schehen mitverfolgen durfte?

Wie gesagt...*wieher*...es ist lediglich eine Hypo-these. Wenn sie aber zutreffen sollte, kann man da-zu nur den begeisterten Standpunkt vertreten: Mehr prospektivische Prädestination geht wirklich nicht!

Galerieraum 5

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